2020/9 | Fachbeitrag | Digitalisierung

Eine Ode an Homeoffice, virtuelle Räume & Co.

Ob bei politischen Verantwortungsträgern oder in den Medien: Virologen und Epidemiologen waren in den letzten Wochen die gefragtesten Interviewpartner. Wissenschaftler haben es geschafft, wieder on-vogue zu sein. Man glaubt ihnen wieder mehr, als so genannten Gesundheitsexperten - die zwar wenig wirklich fachlichen Hintergrund besitzen, dafür aber voll gefüllte Seminarhallen und geschliffene Marketing-Konzepte.

Bildquelle: (C) Alexandra Koch auf Pixabay

Etwas im Schatten der Schlagzeilen, dafür präsent in den Hintergrundspalten, etabliert sich eine weitere Gruppe zu veritablen Ratgebern: Zukunftsexperten schütteln weder Reagenzgläser noch analysieren sie Mikro-Viren. Stattdessen nehmen sie wahr, was ist und leiten daraus die Folgen für die Zukunft ab. Soweit so gut. Das war schon immer so. Bestimmungen des Wesens der Zeit wurden von namhaften Größen wie Platon, Aristoteles, Augustinus, Leibniz, Kant oder Bergson in unterschiedlicher Weise vorgenommen.

Doch wie ist es im Hier und Jetzt? Und dem unmittelbaren, fast buchstäblichen morgen und übermorgen? Fast alle aktuellen und teils selbsternannten Zukunftsforscher prognostizieren uns den Durchbruch der digitalen Kommunikation: Das Homeoffice setzt sich durch, Video-Konferenzen werden zur Gewohnheit, digitales Lernen ersetzt endlich den Präsenzunterricht.

Die Sache mit dem Homeoffice? Geht plötzlich!

Wir alle erleben, dass es ja plötzlich doch geht - die Sache mit dem Homeoffice. Wir treffen uns auf Zoom oder Skype, Microsoft Teams oder im GoToMeeting, nutzen Cisco, Jitsi und viele andere Plattformen mehr. Und merken, dass das ja ganz ordentlich klappt. Ergo: DAS wird sich durchsetzen und so erhalten auch die vermeintlichen Experten wieder mal ihren Zuspruch, die es ja schon immer so vorausgesagt haben.

Aber Hand aufs Herz: Meinen Sie, das kommt jetzt wirklich? Oder anders gefragt: Wird das bleiben, was da gerade ist? Führen Sie Ihre Mitarbeitenden nur noch via Homeoffice? Sehen Sie Ihre Geschäftspartner ab jetzt lieber als Torso, also vor allem mit der oberen Körperhälfte in halb unscharfen Bildern und via regelmäßig unterbrochenen Digitalleitungen? Können Sie alle Bedenken bei Seite legen und die Tatsache mehr oder minder ignorieren, dass die Infrastruktur im hochzivilisierten Land eben doch nicht so weit ist, wie man uns glaubhaft versicherte?

Meiner Meinung nach wird genau das, was die digitalen Hellseher so preisen, so nicht eintreten. Es wird sich in der Folge wohl tatsächlich viel Digitales durchsetzen und sogar zur Normalität werden. Wir alle erleben die Chancen, die darin stecken und sehen, was alles eben sehr gut auch virtuell oder digital funktioniert. Das ist das eine. Und wie schön, dass viele dabei sogar die Angst vor Technik, Fehlern und Ungewohntem verlieren, sich aus der berüchtigten Komfortzone ein Stück hinaus bewegt haben. Doch was könnte tatsächlich bleiben?

Chefs erkennen: Menschen kann man vertrauen

Führen könnte wohl hybrider werden. Ihre Mitarbeitenden nutzen für Projekt die Chance, auch mal einen Tag in Ruhe von zu Hause aus zu arbeiten. Verkaufsleiter müssen nicht alle Außendienstler für ein Statusmeeting am Montagmorgen durch das ganze Land anreisen lassen. Das spart nicht nur Zeit, die ein Verkäufer besser in die Marktbearbeitung investiert, sondern schont auch noch die Umwelt. Und es spielt auf einen wesentlichen Beziehungsfaktor ein: Chefs haben gesehen, dass man anderen Menschen vertrauen kann. Mitarbeiter haben erlebt, dass Vertrauen auch antreibt, motiviert und mobilisiert.

These 1: Die Digitalisierung wird als etwas Selbstverständliches Einzug halten.

Gleichzeitig bemerken wir die Grenzen digitaler Kommunikation. Wir erleben fehlende Nähe, produzieren viele Missverständnisse und sehen realistisch, dass eben genau das Digitale nicht alles kann, was viele meinen, könne es. Wer Menschen nur noch über Bildschirme sieht, nimmt deren Emotion nicht gleich wahr. Man distanziert sich in der Tat. Fragen Sie einmal Großeltern, wie sie ihre Enkel in den letzten Wochen vermisst haben. Dieses Problem von emotionaler Nähe löst auch kein Meeting im digitalen Raum.

Die Aussage eines Kunden - seines Zeichens Führungskraft in einem Technologie-Unternehmen - in diesen Tagen bringt es auf den Punkt: "Bitte führen Sie das nächste Führungscoaching wieder physisch durch. Kommen Sie vorbei. Die Gruppe ist überschaubar und ich sage Ihnen: unsere Führungskräfte haben es so etwas von satt, ständig in die Bildschirme zu starren. Der Hunger nach realen Begegnungen ist größer denn je. Selbst bei denen, die sonst liebend gerne alles vom PC aus machen."

These 2: Die Grenzen der Digitalisierung werden sichtbar.

Digitalisierung wird sich durchsetzen, aber klar abgrenzen. Denn Technik birgt die Gefahr, dass Menschen zu schnell etwas zu glauben - denn sie erzeugt die Illusion der Präzision. Für die einen stellt es sich daher so dar, als sei die digitale Kommunikation vom Olymp des Hypes heruntergestiegen, während sie für manch andere aus dem Loch des Teufels hervor geklommen ist. Wir haben den kritischen Umgang mit diesen Technologien noch nicht gelernt. Das könnten wir genau jetzt tun.

Der Autor:

Stefan Häseli ist Kommunikationstrainer, Keynote-Speaker, Moderator und Autor mehrerer Bücher. Er betreibt ein Trainingsunternehmen in der Schweiz. Der Kommunikationsexperte begleitet seit Jahren zahlreiche Unternehmen bis in die höchsten Vorstände von multinationalen Konzernen. Er doziert an Universitäten und Fachhochschulen im Themenfeld Kommunikation. Als Experte nimmt er im Radio und TV-Stationen immer dann Stellung, wenn Kommunikation irgendwo auf der Welt gerade eine entscheidende Rolle spiel, wie beispielsweise die ersten Wochen von Donald Trump oder der Blick auf das Kommunikationsverhalten von Greta Thunberg und Boris Johnson.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

AI Distillation verständlich erklärt?

Mit AI Distillation ist die IT-Welt um ein Buzzword reicher. Kein Wunder, denn diese Technik im Bereich der KI-Modelle hat sich zu einer echten Erfolgsformel entwickelt. Aber was steckt eigentlich dahinter, wo liegen die Vorteile - und wo die Nachteile? ...

Weiterlesen

Firmen-Events digital moderieren

WISSENplus
Je vernetzter die Strukturen in Unternehmen und je komplexer ihre Problemlösungen sind, umso größer ist der Bedarf an bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifender Abstimmung und Kooperation. Entsprechend viele Workshops und Meetings fanden zumindest bis zum Ausbruch der Corona-Krise in den Unternehmen statt; zudem Kick-offs und Tagungen, an denen oft Hunderte und zuweilen sogar Tausende von ...

Weiterlesen

Online-Events – das neue „Normal“

WISSENplus
Webinare boomen. Damit sie nicht zur langweiligen Werbeveranstaltung verkommen, sollten Veranstalter nutzwertigen Inhalt bieten. Ein wenig Marketing und professionelle Technik helfen außerdem dabei, Events über das Netz zu füllen und möglichst viele interessante Menschen zu erreichen....

Weiterlesen

Wie leben wir morgen? Eine Reise ins Jahr 2050

WISSENplus
Im Jahr 2050 besteht die Weltbevölkerung aus ca. 9,7 Milliarden klimabewussten Smart Citizens. Sie leben länger und haben mittlerweile das Weltall und die Tiefen des Ozeans als weitere Verkehrsinfrastrukturen erobert. Aber welche agilen Errungenschaften stecken dahinter? Wie haben sich die Menschen im Jahr 2050 auf der Erde entwickelt und welche Innovationen haben sie zu einer solchen Agilität befähigt?...

Weiterlesen

Wissensmanagement – (k)eine Frage neuer Tools

WISSENplus
Das Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) ist zur Erfüllung seines Mandats gegenüber seinen Geldgebern auf eine gute interne und externe Zusammenarbeit angewiesen: Gebäude und Arbeitsumgebung, Kultur, Strukturen und Werkzeuge sind darauf ausgerichtet, dass die Mitarbeitenden optimal gemeinsam an Forschungs- und Umsetzungsprojekten arbeiten können. Die Arbeitskultur und -umge...

Weiterlesen

Serendipity: Wie aus Zufällen Glücksfälle werden

WISSENplus
Gar nicht so selten ist bei Innovationen der Zauber der Serendipität mit im Spiel, die Neugierde und einen offenen Blick für Möglichkeiten schließlich belohnt. Zu dieser Innovationskategorie zählen nicht nur Cornflakes, Schneekugeln, Herzschrittmacher, die Mikrowelle und Penicillin, sondern auch die berühmte blaue Pille. Doch muss man warten, bis König Zufall einen beglückt? Oder kann Serendip...

Weiterlesen