Studie: Impliziter Wissenstransfer - welche Erfolgsfaktoren gibt es?

Trotz aller Bemühungen, betriebsrelevantes Wissen durch Mitarbeiter dokumentieren zu lassen, verbleiben noch immer 90 Prozent des Wissens „in den Köpfen“. Es ist aber gerade dieses Erfahrungswissen der Mitarbeiter – spezielles Know-how, Lessons Learned, Intuition – die das Kapital und die Wettbewerbsfähigkeit eines jeden Unternehmens ausmachen. Der Transfer dieses „impliziten“ Wissens gelingt effektiver in einem persönlichen Gespräch, welches Fragen und Gegenfragen zulässt und so eine Eingrenzung auf den Kern des Interesses ermöglicht. Daher hat der Lehrstuhl für Innovationsmanagement und Entrepreneurship der Universität Potsdam  hat in einer Kooperationsstudie mit experience network den Reifegrad von Konzernen hinsichtlich Einführung und Einsatz von Enterprise-2.0-Werkzeugen analysiert. Das Benchmarking gibt konkrete Hinweise auf die Erfolgsfaktoren für eine zielorientierte Vernetzung und kollaborative Arbeitskultur.

Die gute Nachricht: Mit den Technologien des Web 2.0 lassen sich Wissensträger für einen solchen Erfahrungsaustausch schneller und fokussierter identifizieren. Innovative Unternehmen stellen daher zunehmend den Mitarbeiter in den Mittelpunkt ihrer Wissensmanagementstrategie und fördern ganz bewusst die organisationsinterne Vernetzung. Es findet ein Paradigmenwechsel im Wissensmanagement statt: nicht Dokumente, sondern vielmehr das tiefe, individuelle Wissen wird zugänglich gemacht. Mit einer Intensivierung des personalisierten Wissenstransfers sind positive Effekte sowohl auf der Erlös- wie auch auf der Kostenseite erzielbar:

  • Höhere Reaktionsgeschwindigkeit auf Kundenanforderungen
  • Stärkere Innovationsfähigkeit durch Austausch von Ideen und Lessons Learned
  • Sachorientierter Austausch erspart Doppelarbeit und „Neuerfindung des Rades“
  • Fokussierte Expertengespräche ersetzen langwierige dokumentenbasierte Recherchearbeit
  • Aufwändige Erstellung und Qualitätssicherung von Dokumenten wird reduziert

Für das Auffinden von Wissensträgern in der Organisation zum Austausch von Erfahrungen, Vermitteln von Erkenntnissen und Verbreitung von Best Practices implementieren Unternehmen zunehmend Formate, die den Erfolgsmodellen der privaten Welt entlehnt sind wie z.B. Facebook oder XING. Dabei wird häufig unterschätzt, dass ein Unternehmen wenig Gemeinsamkeiten mit dem World Wide Web hat – nicht nur was die Größenordnung anbelangt, sondern auch hinsichtlich der Triebfedern für die individuelle Partizipation der Mitarbeiter. Und das ist die schlechte Nachricht: Die allermeisten Unternehmen starten Social Intranet-Anwendungen mit großer Euphorie, die langfristige Akzeptanz und Nutzung bleibt jedoch hinter den Erwartungen zurück. Der Grund liegt ganz überwiegend in der Vernachlässigung der Einbindung in eine übergeordnete Unternehmens-Strategie sowie eine diffuse Zweckbestimmung. Denn Corporate Social Networks und Mitarbeiterprofilseiten sind per se nicht in erster Linie Werkzeuge des Wissensmanagements. Doch durch ein nachhaltiges Management können diese Anwendungen auch den innerbetrieblichen Wissenstransfer auf eine neue Ebene heben.

Mangels einer systematischen Steuerung des Social Intranets kämpfen Unternehmen im Wesentlichen mit mindestens einem der folgenden „Pain Points“:

  • Kulturelle Barrieren: Social Intranet passt nicht zur Unternehmenskultur, „Wissen-ist-Macht“- oder „Not-invented-here“-Syndrome hemmen den produktiven Erfahrungsaustausch
  • Fehlende Anreize: kollaborative Arbeitskultur wird auf individueller Ebene nicht belohnt, Mitarbeiter interpretieren – mangels extrinsischer oder intrinsischer Anreize – die Partizipation als zusätzliche Arbeitsbelastung
  • Prozess-Stickyness: auch wenn dem einzelnen Mitarbeiter der theoretische Nutzen der E2.0-Anwendung einleuchtet, verhindern eingelernte Verhaltens- und Arbeitsmuster die Nutzung neuer Methoden

Im Ergebnis offenbaren sich diese Herausforderungen in nur rudimentär gepflegten Profilseiten und/oder „stillen“ Netzwerken, in denen sich lediglich eine kleine Gruppe von sogenannten Early Adopters tummelt – einen echten Mehrwert können die eingeführten Anwendungen damit nicht entfalten.

Im Rahmen der Studie der Universität Potsdam am Lehrstuhl für Innovationsmanagement und Entrepreneurship wurde erstmalig der Reifegrad von Konzernen und großen Unternehmen des Mittelstands hinsichtlich der Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung des personalisierten Wissenstransfers analysiert. In der Durchschnittsbetrachtung offenbaren sich dabei konkret die Schwachstellen bei der Einführung von Enterprise 2.0:

  • Auch wenn das Teilen von Wissen von Unternehmen als eines der wichtigsten Unternehmensgrundsätze genannt wird, spiegelt sich dies nicht in einer starken Priorisierung von Wissensmanagement wider: weder gibt es eine ganzheitliche Wissensmanagementstrategie noch sind entsprechende Maßnahmen in einen konkreten Bezug zu Unternehmenszielen gesetzt. Wissensmanagement mittels E2.0-Anwendungen wird stattdessen häufig als IT-Projekt (miss-)verstanden.
  • Tools und Maßnahmen zur Expertensuche und Vernetzung werden zwar breit eingeführt, erfahren jedoch keine kontinuierliche Erfolgskontrolle. Eine konkrete Soll-Ist-Analyse im Sinne von Definition und Nachhalten von Key Performance Indicators gibt es in der Regel nicht, so dass auch keine fokussierte Steuerung möglich ist.
  • Der Kommunikations- und Schulungsaufwand für Mitarbeiter begrenzt sich auf die Phase der Einführung. Langfristige Konzepte der Partizipationssteuerung und Anreizsetzung sind nicht definiert, personelle Ressourcen sind eindeutig zu sparsam eingesetzt um das Tool langfristig zu „beatmen“.

Es zeigt sich jedoch auch, dass es viel Potenzial für Unternehmen gibt, voneinander zu lernen. In der vorliegenden Studie werden die teilnehmenden Unternehmen anhand einer Reihe von Indikatoren gebenchmarked. Dabei offenbaren sich im Detail auch innovative Konzepte und Best Practices:

  • Strategische Aufmerksamkeit gegenüber Wissensmanagement durch explizites Sponsoring “von oben“ – ein Mitglied der Geschäftsführung treibt das Thema und begleitet nachhaltig den kulturellen Wandel
  • Einbettung von Enterprise 2.0 in ein integriertes Gesamtkonzept “Wissensmanagement”, das in abgestimmter Art und Weise sowohl online- als auch offline-Maßnahmen umfasst
  • Nutzung von Multiplikatoren-Modellen zur Durchdringung der Organisation und Promoten der kollaborativen Arbeitskultur
  • Auswahl und Implementierung von Enterprise 2.0-Anwendungen, die sich ohne Systembrüche in den Workflow der Mitarbeiter einbinden lassen
  • Kontinuierliche Erfolgskontrolle durch regelmäßige Erhebung und Analyse sowohl quantitativer als auch qualitativer Key Performance Indicators
  • Setzen von Anreizen – auch systemunterstützt durch Game Mechanics (Punkte, Level, Leaderboards)

Nur wenige Unternehmen erreichen in allen Bereichen Höchstnoten. Doch zeigt sich aus den Interviews der Studie, dass bereits das Berücksichtigen einiger der Erfolgsfaktoren ganz konkret zum Gelingen der Enterprise 2.0-Initiative beitragen kann.

Implizites Wissen wird am effektivsten durch einen persönlichen Kontakt zwischen Wissensträger und Wissenssuchenden transferiert. Erst das Web2.0 stattet die Unternehmen mit dem notwendigen technologischen Handwerkszeug aus, betriebsinterne Erfahrungsträger schnell und effektiv zu identifizieren und so die Weichen für einen abteilungsübergreifenden Wissenstransfer und kollaborative Arbeitskultur zu stellen. Die Investition in eine Anwendung ist dabei jedoch nur der geringste Teil der Wissensmanagement-Anstrengung. Vielmehr müssen Tools, Kultur, operative Zielsetzungen und Ressourcen in Einklang gebracht werden um mittels E2.0-Anwendungen effektives Wissensmanagement zu betreiben.

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