Industrial Analytics wird zum kritischen Wettbewerbsfaktor

Industrial Analytics, also die Auswertung der in der Industrie anfallenden Daten, führt in der öffentlichen Wahrnehmung noch ein Nischendasein. Doch für Unternehmen aus den Bereichen Maschinenbau, Elektrotechnik oder Produktions- und Verfahrenstechnik ist es im Rahmen ihrer Industrie-4.0-Strategien von vitaler Bedeutung, wie sie die gewonnenen Daten nutzbar machen. Bislang war unklar, wie weit die Unternehmen global in Sachen Industrial Analytics vorangeschritten sind. Für eine bislang einmalige Standortbestimmung ließ der Digital Analytics Association e.V. deswegen eine umfassende Studie durchführen. Diese bringt überraschende Ergebnisse ans Licht und zeigt, welche Hebel die Unternehmen im Zuge ihrer Transformation hin zu Industrie 4.0 heute schon nutzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Industrial Analytics wird kritisch

Industrial Analytics ist dabei, sich von der isolierten Funktion eines Business-Unterstützers zum unternehmenskritischen, strategischen Werkzeug über alle Bereiche hinweg aufzuschwingen. Initiativen in Big Data, Internet of Things (IoT) und Industrie 4.0 sind die treibenden Schubkräfte hinter dieser Entwicklung. Fast 70 Prozent der Studienteilnehmer gehen davon aus, dass die Fähigkeit zur systematischen Datenanalyse in den kommenden fünf Jahren eine existenzielle Rolle in den Unternehmen einnehmen wird. Beachtliche 15 Prozent sehen diese Situation schon heute erreicht. In fast jedem dritten Unternehmen ist es der CEO, der das Thema Datenkompetenz vorantreibt. Und über die Hälfte der Unternehmen bevorzugt es, zukunftsfähige Datenkompetenz außerhalb des Kernunternehmens aufzubauen und dabei auch mit externen Dienstleistern zu kooperieren. Bei weniger als der Hälfte der Studienteilnehmer gibt es bereits eine organisatorische Verankerung des Themas innerhalb der Unternehmensstruktur.

Hinter den Engagements der Industrie steht zunächst nicht der Versuch, die Kosten zu senken. Vielmehr haben die Unternehmen die konkrete Steigerung ihrer Umsätze im Blick. Predicitive Maintenance, also die Wartung von Maschinen auf Basis von Prognosen anstatt statischer Sollplanungen, stehen dabei ebenso im Fokus wie ein besserer Vertrieb durch die Online-Analyse von Kunden- und Nutzungsverhalten.

Know-how ist noch Mangelware

Allerdings kämpfen viele Unternehmen noch mit erheblichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Industrial Analytics. Die Hürden sind dabei weniger das Sammeln der Daten über unterschiedliche Sensoren oder Online-Kanäle - hier fühlen sich 60 Prozent der Befragten gut aufgestellt. Jedoch nur gut 30 Prozent sind der Meinung, die Datenmassen so analysieren zu können, dass wichtige Erkenntnisse zutage treten. Die Studie weist hier auf einen signifikanten Mangel an entsprechend ausgebildeten Fachleuten hin. „Das Anwerben und vor allem die unternehmensspezifische Ausbildung von Datenspezialisten wird in den kommenden Jahren für Industrieunternehmen zum wettbewerbsrelevanten Engpass“, kommentiert Frank Pörschmann, Vorstandsmitglied des Digital-Verbandes, das Studienergebnis. „Data-Teams sind idealerweise interdisziplinär und vereinen moderne Analysefähigkeiten mit Technologie, Prozess und Kundenwissen. Führungskräfte müssen verstehen, wie sie solche Expertenteams zusammenstellen und leiten. Datenkompetenz hat sich längst auch zu einer zusätzlichen Führungsdisziplin entwickelt, unabhängig von Seniorität oder Führungsebene. Hierarchiegläubigkeit zählt derzeit nicht zu den Motivatoren umworbener Datenspezialisten. Und von denen gibt es deutlich zu wenig in Anbetracht der Aufmerksamkeit, die das Thema durch Industrie 4.0 erfährt - nur 22 Prozent unserer Studienteilnehmer haben alle benötigten Skills an Bord.“

Das Ziel der Reise ist oft unklar

Deutliche Unterschiede deckt die Studie dabei auf, wie sich die Unternehmen der Industrial Analytics nähern. Rund ein Drittel der befragten Unternehmen beginnt den Einstieg in das Thema mit klaren Vorstellungen, welche Ziele verfolgt werden sollen und welche Ergebnisse erwartet werden. Dem gegenüber geht ein Drittel der Unternehmen unbefangen an Industrial Analytics heran und lotet die Möglichkeiten aus, bevor genaue Ziele festgelegt werden. Dieser explorative Ansatz hat aus Pörschmanns Sicht durchaus seine Berechtigung: „Die explorative Herangehensweise scheint tendenziell bei immer mehr Unternehmen die bevorzugte Einstiegsmethode zu werden. Das ist insofern sinnvoll, als dass man den vielfältigen Möglichkeiten der Industrial Analytics offener begegnet und so auch Potenziale entdecken kann, die zu Beginn nicht im Blickfeld lagen.“

Dass Industrial Analytics als geschäftskritische Querschnittsfunktion erkannt wurde, zeigt ein Blick auf die treibenden Kräfte in den Unternehmen. Nur bei sieben Prozent der Studienteilnehmer sind es CIO oder CTO, die entsprechende Initiativen nach vorne tragen. Bei 58 Prozent der Unternehmen steht das Top-Management in Form des CEO oder COO hinter dem Engagement. Damit scheint die Mehrheit der Befragten Daten als Wirtschaftsgüter und eigenständige Ressourcen zu sehen, nicht als technologische Assets. Die Erhebung zeigt zudem, dass die Rolle des Chief Data Officers (CDO), der eine umfassende digitale Strategie im Unternehmen vorantreibt, noch kaum in den Organisationen verankert wurde.

Das Teuerste im Unternehmen sind noch immer schlechte Entscheidungen

Für Verbandsvorstand Pörschmann zeigt die Studie deutlich, dass die Industrie das Potenzial von Industrial Analytics erkannt hat: „Daten entfalten ihren Nutzen und Wert erst durch die Analyse und final erst in einer Entscheidungsfrage. Die meisten Unternehmen haben deswegen Initiativen in die Wege geleitet, um das Potenzial der Industrial Analytics auszuloten. Es fehlt allerdings dringend an kompetenten Spezialisten, an übergreifenden Standards sowie an der entsprechenden Datenkompetenz in den Führungsetagen.“ Auch bei den Kosten sieht Pörschmann aktuell eine Schieflage: „Ein Blick in die Projektkosten-Struktur zeigt das Dilemma. Der überwiegende Aufwand entsteht dabei, die Daten überhaupt analysefähig bereitzustellen - also Zugang, Aufbereitung und Qualifizierung. Und das muss in vielen Fällen bei jeder Initiative wieder von neuem durchlaufen werden. Hier liegen deutliche Kosten- und Beschleunigungspotenziale durch den Einsatz passender Big-Data- und Analytics-Technologien.“

„Unsere Welt ist immer mehr datengetrieben“, resümiert der Data-Stratege. „Daten und Wissen sind ein Instrument für bessere und schnellere Entscheidungen in einer hochvernetzen Welt. Doch schlechte Entscheidungen sind immer noch das Teuerste im Unternehmen. Und sie werden zudem noch geduldet. Die Studie zeigt in ermutigender Weise, dass die Unternehmen den strategischen Wert besserer Entscheidungen erkannt haben. Sie sind bereit für den eigenen Transparenz- und Lernprozess.“

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