Fachkräftemangel: 2020 droht jede zehnte Stelle in Deutschland unbesetzt zu bleiben

Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften gefährdet weltweit das Wirtschaftswachstum. So brauchen die USA bis 2030 mehr als 25 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte und Europa über 45 Millionen weitere Arbeitnehmer, um ihr derzeitiges Wachstum aufrechtzuerhalten. Humankapital wird damit zum Wettbewerbsfaktor von Unternehmen und Volkswirtschaften. Regierungen und Firmen müssen gemeinsam aktiv werden, um die Anzahl an Fachkräften im Inland zu erhöhen und zudem Arbeitnehmer weltweit erfolgreich anzuwerben. Zu diesen Ergebnissen kommt eine gemeinsame Studie des World Economic Forum und der Boston Consulting Group (BCG).

Global Talent Risk – Seven Responses analysiert den erwarteten Arbeitskräftemangel bis zum Jahr 2030 in 25 Ländern, 13 Branchen und neun Berufsgruppen. Anhand von sieben strategischen Stoßrichtungen und über 300 untersuchten Best-Practice-Beispielen macht die Studie deutlich, welche Gegenmaßnahmen Unternehmen, aber auch Regierungen ergreifen müssen. Die Analysten prognostizieren einen weltweiten Bedarf vor allem an gut ausgebildeten Fachkräfte, Technikern und Führungskräften. Ändert sich in Deutschland nichts an der aktuellen Situation, wird in zehn Jahren jede zehnte Stelle für Fachkräfte und Spezialisten unbesetzt bleiben. Eine Projektion bis 2030 zeigt ein noch düstereres Bild, bei dem Deutschland deutlich schlechter abschneidet als andere europäische Nationen wie Frankreich, Großbritannien oder Schweden – aber auch als China und die USA. „Deutschland treffen die Folgen des demografischen Wandels stärker als andere Länder. Wegen unserer hoch entwickelten Wirtschaft werden wir die größten Versorgungslücken im Bereich der Führungskräfte, Experten und Facharbeiter haben“, erklärt Dr. Rainer Strack, BCG-Senior-Partner und weltweit verantwortlich für Personalthemen.

Der größte sich abzeichnende Fachkräftebedarf besteht hier zu Lande – wie auch global – im Gesundheitswesen; es folgt die IT-Branche. Um auch in Zukunft zu wachsen, wird Deutschland als alternde Gesellschaft qualifizierte Kräfte künftig verstärkt und gezielt auch aus dem Ausland anwerben müssen. „Unternehmen, aber auch Regierungen müssen verstehen, dass sie weltweit um gut ausgebildete Köpfe konkurrieren“, sagt Strack. Heute machen im außereuropäischen Ausland geborene Arbeitskräfte mit Hochschulabschluss oder einer vergleichbaren Qualifikation gerade einmal zwei Prozent des europäischen Arbeitsmarktes aus; in den USA sind es immerhin 4,5 Prozent und in Kanada satte zehn Prozent. „Eine bessere Aus- und Weiterbildung muss Hand in Hand gehen mit einer verstärkten Zuwanderung von Arbeitnehmern“, fordert Strack. „Wir müssen mehr für Deutschland als Standort werben, diesen aber für ausländische Arbeitnehmer und deutsche Rückkehrer auch attraktiver gestalten.“

Die Studie fordert ein konzertiertes Vorgehen, beginnend mit dem Abbau von Hindernissen, die die Mobilität von Arbeitskräften beschränken (geografische Dimension), über Maßnahmen zur Erschließung neuer Kapazitäten (strukturelle Dimension) bis hin zu veränderten Aus- und Weiterbildungskonzepten (fachliche Dimension). Sie empfiehlt Unternehmen und Regierungen sieben Stoßrichtungen, um dem weltweiten Arbeitskräfterisiko zu begegnen:

1. Einführung einer strategischen Personalplanung, um Lücken zwischen künftigem Arbeitskräfteangebot und -nachfrage in einzelnen Berufsgruppen frühzeitig erkennen und rechtzeitig schließen zu können. Das Wissen über den künftigen Personalbedarf ist für Unternehmen wie Volkwirtschaften erfolgskritisch.

2. Vereinfachte und transparente Einwanderungspolitik, um weltweit attraktive Arbeitskräfte anzusprechen und sie als Arbeitnehmer zu gewinnen. Maßnahmen sind hier etwa internes und externes Standortmarketing, punktebasierte Migrationssysteme oder die zweistufige Migration von ausländischen Studierenden – das heißt, diese zunächst als Studenten auszubilden und anschließend als hoch qualifizierte Arbeitskräfte im Land zu halten.

3. Förderung von länderübergreifendem Wissenstransfer (Brain Circulation), etwa durch eine bessere Vernetzung mit hoch qualifizierten Landsleuten im Ausland und Rückkehrerprogramme, aber auch durch die Anerkennung von andernorts erworbenen Qualifikationen und Abschlüssen.

4. Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit durch durchlässige Bildungssysteme, die fachliche Qualifikationen vermitteln, aber auch deren praktische Anwendung über kulturelle Grenzen hinweg trainieren, z. B. durch Kooperationen mit Unternehmen (Private-Public Partnerships) oder anderen Staaten. Weiterhin wichtig sind systematische Weiterbildungsangebote, die lebenslanges Lernen unterstützen.

5. Förderung flexibler Karriere- und Ausbildungswege, die Arbeitnehmern die Möglichkeit bieten, sich nicht nur in vertikalen Karrierepfaden zu bewegen, sondern sich auch horizontal und diagonal weiterzuentwickeln, z. B. durch geschäftsbereichsübergreifende Job-Rotation.

6. Förderung von temporärer und virtueller Mobilität, etwa durch befristete Studien- und Arbeitsaufenthalte im Ausland. Unterstützung kann hier durch vereinfachte Visavergabe erfolgen oder den Ausbau von Austauschprogrammen. Virtuelle Arbeitsmöglichkeiten erlauben es, schnell und flexibel auf Fachwissen und Know-how weltweit zugreifen zu können und die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg zu fördern.

7. Erweiterung des Angebots an qualifizierten Arbeitskräften insbesondere durch die stärkere Einbeziehung von Frauen in den Arbeitsmarkt, aber auch die Integration älterer Arbeitnehmer und Immigranten. Eine Aktivierung und Förderung dieser Gruppen kann etwa durch ausreichend verfügbare Kinderbetreuungsangebote, flexible Arbeits(zeit)modelle, Mentoringprogramme sowie eine effektivere und schnellere Anerkennung von Zeugnissen und Abschlüssen aus dem Ausland erreicht werden

Mehr unter: www.bcg.com

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