2004/8 | Fachbeitrag | Wissenskreislauf

Die Bausteine des Wissensmanagements in der Praxis

von Norbert E. Rohleder

Von Norbert E. Rohleder

 

Inhaltsübersicht

 

 

In den letzten Jahren wurden eine Vielzahl von Studien

und Konzepten für die gezielte Identifikation, Vermittlung und Integration

von Wissen im Unternehmen vorgelegt, etwa die „Vier Akte zum Wissensmanagement“

von Schüppel [1] oder das „Modell des integrativen Wissensmanagements“

von Reinhardt und Pawlowsky [2]. In der Fülle der Publikationen nehmen

die „Bausteine des Wissensmanagements“ von Probst, Raub und Romhardt

[3] aufgrund ihrer Praxisnähe nach wie vor eine besondere Stellung ein.

Mit der Differenzierung von Wissensprozessen in einzelne Bausteine ermöglicht

es dieser Ansatz, Wissensprobleme innerhalb einer Organisation besser einzuordnen,

zu verstehen und zu lösen.

 

Das Prinzip des Wissenskreislaufs

 

Im Mittelpunkt des Konzeptes steht die Gestaltung, Nutzung und Entwicklung

einer organisationalen Wissensbasis. Diese umfasst sowohl individuelle als auch

kollektive Wissensbestände, die einer Organisation bei der Lösung

von Problemen zur Verfügung stehen, sowie die Daten und Informationen,

auf denen individuelles und kollektives Wissen aufbaut. Eine Organisation lernt

durch Optimierung der gemeinsamen Wissensbasis, auch wenn das Wissen selbst

in der Regel als personengebundene Problemlösungskompetenz zu verstehen

ist. Entscheidend für den Erfolg der Bausteine des Wissensmanagements ist

ihre integrale Komponente: Wissensmanagement steht nicht als isolierte Strategie

neben anderen Prozessen, sondern durchdringt als Querschnittsaufgabe das gesamte

Unternehmen.

 

 

Die Bausteine des Wissensmanagements gliedern sich in einen inneren und einen

äußeren Wissenskreislauf. Der äußere Kreislauf bildet

einen klassischen Managementprozess ab mit den Elementen Zielsetzung, Umsetzung

und Kontrolle. Zunächst werden konkrete Ziele formuliert und Strategien

entwickelt, um diese zu erreichen. Ein Controllingsystem wacht über Erfolg

und Effizienz der Maßnahmen und liefert ein Feedback für die Formulierung

neuer oder revidierter Wissensziele.

 

 

 

Die sechs Bausteine des inneren Kreislaufs beschreiben die operative Umsetzung

der Strategie: Während die Wissensidentifikation intern und extern bereits

vorhandenes Wissen lokalisiert, dient der Wissenserwerb der gezielten Beschaffung

externen Wissens. Demgegenüber ist die Wissensentwicklung auf die unternehmensinterne

Produktion neuer Fähigkeiten, neuer Ideen und Produkte sowie verbesserter

Prozesse ausgerichtet. Die Wissensverteilung optimiert die Distribution und

Verfügbarkeit vorhandenen Know-hows; das schließt auch den Aufbau

einer leistungsfähigen technischen Infrastruktur ein. Die Wissensnutzung

als Kernelement des Wissensmanagements bezeichnet den produktiven Einsatz organisationalen

Wissens zum Vorteil des Unternehmens. Und schließlich sorgt die Wissensbewahrung

dafür, dass Erfahrungen und Informationen zuverlässig gespeichert

werden, damit einmal erworbene Fähigkeiten der Organisation nicht verloren

gehen. Die einzelnen Bausteine sind eng miteinander verknüpft und beeinflussen

sich gegenseitig.

 

 

Die sechs Kern- und zwei Außenprozesse bilden einen interdependenten

Managementregelkreis, der die wesentlichen Wissensfunktionen im Unternehmen

abdeckt. Dabei wird berücksichtigt, dass sich eine Organisation aus verschiedenen

Elementen (Individuen und Gruppen) mit unterschiedlichen operativen, strategischen

und normativen Zielen zusammensetzt. Die Variable Wissen wird durch dieses Konzept

als Dreh- und Angelpunkt zur Lösung von Managementproblemen im Unternehmen

etabliert. Dabei dienen die Bausteine des Wissensmanagements nicht nur dazu,

die Wissensmanagement-Prozesse zu strukturieren, sondern ermöglichen auch

eine praktische Problemanalyse, ohne den Anspruch einer umfassenden Theoriebildung

zu erheben.

 

 

01 picture
Die Bausteine des Wissensmanagements nach Probst, Raub und Romhardt [3]

Ein Praxisbeispiel: Skandia

 

Das schwedische Versicherungsunternehmen Skandia realisierte in den neunziger

Jahren ein Projekt zur Implementierung eines ganzheitlichen Wissensmanagements

(Intellectual Asset Management) [4, 5]. Ziel war eine realistischere Einschätzung

des Firmen-Marktwertes durch eine Bewertung des intellektuellen Kapitals als

entscheidender Unternehmensressource. Außerdem sollte der interne Informationsfluss

verbessert werden, um durch die Verfügbarkeit von Wissen zur richtigen

Zeit am richtigen Ort den Wert des intellektuellen Kapitals zu steigern. Unter

der Leitung von Leif Edvinsson begann man 1991 mit der Umsetzung eines sechsstufigen

Wissensmanagement-Konzepts.

 

 

Das Projekt gliederte sich in sechs Phasen, wobei die Umsetzung der einzelnen

Schritte jeweils etwa ein Jahr in Anspruch nahm:

 

  1. Missionary:
    Die erste Phase diente einer umfassenden Analyse des Wissensmarktes.
  2. Measurement:
    Im zweiten Schritt ging es darum, geeignete Bewertungsmethoden und Wissensindikatoren zu entwickeln. Als Hilfsmittel wurde ein Modell zum Messen des intellektuellen Kapitals erarbeitet: der Skandia-Navigator. Dieser fördert die Unternehmensentwicklung durch die Untersuchung der Kennzahlen Kunden, Prozesse, Personal sowie Forschung und Entwicklung. Der ursprüngliche Navigator wurde um ein so genanntes F-Link-Kennzahlensystem ergänzt, das weitere Kennzahlen zu den Faktoren enthält, die den größten Einfluss auf den Markterfolg haben: Kundenzufriedenheit, Zufriedenheit der Vertreter, Motivation und Kompetenz der Mitarbeiter sowie Qualitätsbewusstsein und Effektivität der Verwaltung.
  3. Leadership:
    Dieser Projektabschnitt befasste sich mit der Entwicklung der unterschiedlichen Komponenten des intellektuellen Kapitals. In einem eigens gegründeten Future Center trafen sich die Organisationsmitglieder in einer offenen Atmosphäre, um durch Anwendung von Szenariotechniken das in Zukunft relevante Wissen zu identifizieren und zu entwickeln.
  4. Information Technology:
    In dieser Phase wurde die unterstützende informationstechnologische Infrastruktur aufgebaut und ein Spezialistennetzwerk zur gezielten Verteilung und Nutzbarmachung des Wissens eingeführt.
  5. Capitalising:
    Hier galt es, die Wiederverwendbarkeit des Wissens sicherzustellen, um damit Rendite und Produktivität des intellektuellen Kapitals zu steigern.
  6. Futurizing:
    Der letzte Projektabschnitt beschäftigte sich mit der Entwicklung standardisierter Verfahren zum Speichern relevanten Wissens (und zukünftiger Strategien). Dazu erstellte man u.a. so genannte Procedure Manuals.

 

Obwohl das Skandia-Modell unabhängig von den Bausteinen des Wissensmanagements

entwickelt wurde, folgen beide Ansätze einem vergleichbaren Prinzip. Die

sechs Schritte des Intellectual Asset Managements entsprechen in ihren Grundzügen

den von Probst, Raub und Romhardt definierten Kernprozessen des Wissenskreislaufs.

Die Zielsetzung des Projekts – die Bewertung und Wertsteigerung des im

Unternehmen vorhandenen intellektuellen Kapitals – bildet dabei den strategischen

Rahmen. Allerdings fehlen zur vollständigen Umsetzung der Bausteine des

Wissensmanagements gezielte Maßnahmen zum Wissenserwerb – ein notwendiger

Schritt, der von den Unternehmen bewusst gestaltet werden muss.

 

 

 

Aufgrund des rasanten Anwachsens von relevantem Wissen und der zunehmenden

Spezialisierung ist es heute kaum noch möglich, das gesamte Wissen, das

für das Erreichen der Unternehmensziele benötigt wird, in der Organisation

zu generieren und vorrätig zu halten. Darüber hinaus trägt die

hohe Dynamik der Veränderungsprozesse dazu bei, dass vorhandenes Wissen

in kurzer Zeit veraltet. Der Erwerb von Wissen aus externen Quellen ist somit

ein Kernprozess des Wissensmanagements. Es gilt, identifizierte Wissenslücken

zu schließen, indem relevantes externes Wissen importiert und in die organisationale

Wissensbasis integriert wird. Dabei ist darauf zu achten, dass diese neuen Wissenspotenziale

grundsätzlich in der Organisation nutzbar sind.

 

02 picture
Management des intellektuellen Kapitals bei Skandia

Bewertung des Ansatzes

 

Auch wenn – wie das Beispiel Skandia zeigt – die Bausteine des

Wissensmanagements einen hohen Praxisbezug aufweisen, sehen einige Autoren Probleme

bei ihrer Umsetzung. So wird kritisiert, dass trotz einer Fülle von Beispielen

praktische Schwierigkeiten beim konkreten Implementieren, insbesondere von Informationstechnologien,

zu wenig Beachtung finden. Zudem wird bezweifelt, dass die Reduktion auf wenige

Parameter der Komplexität der Thematik gerecht wird.

 

 

 

Auch die mangelnde Theoriebindung ist immer wieder Ziel der Kritik. Es gelinge

dem Modell nicht, die unzureichende theoretische Basis durch einen pragmatischen

Praxisbezug auszugleichen; das Theoriedefizit gefährde die Integrierbarkeit

des Ansatzes in bestehende Organisations- und Managementmodelle. Ein weiterer

Kritikpunkt ist die deterministische und direktive Art, in der Interventionen

beschrieben werden.

 

 

Trotz dieser Kritik steht außer Frage, dass sich die Bausteine des Wissensmanagements

mit ihrem ganzheitlichen Ansatz gerade aus betriebswirtschaftlicher Sicht eng

an die Praxis anlehnen: Sie ermöglichen eine strukturierte Betrachtung

des Wissensmanagements und bieten praktikable Ansätze zur Intervention

und Optimierung innerhalb des Unternehmens. Gerade die Reduktion des komplexen

Themas Wissensmanagement auf wenige Kernprozesse gestattet es, die Ressource

Wissen systematisch zu identifizieren, zu erfassen und für das Unternehmen

nutzbar zu machen.

 

 

 

Literatur:

 

 

[1] Schüppel, J.: Wissensmanagement – Organisatorisches Lernen im

Spannungsfeld von Wissens- und Lernbarrieren. Wiesbaden 1996.

 

[2] Reinhardt, R./Pawlowsky, P: Wissensmanagement – ein integrativer Ansatz

zur Gestaltung organisationaler Lernprozesse. In: Dr. Wieselhuber & Partner

(Hrsg.): Handbuch Lernende Organisation. Unternehmens- und Mitarbeiterpotentiale

erfolgreich erschließen. Wiesbaden 1997.

[3] Probst, G./Raub, S./Romhardt, K.: Wissen managen. 3. Aufl. Wiesbaden 1999.

[4] Skyrme, D.J./Amidon, D.: Creating the Knowledge-Based Business. Wimbledon

1997.

[5] American Productivity & Quality Center International Benchmarking Clearinghouse

(APQC): Knowledge Management. Consortium Benchmarking Study. Best Practice Report.

Houston 1996.

 

 

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