2018/4 | Fachbeitrag | Weiterbildung

Wissensvermittlung muss sich revolutionieren

von Manuel Nitzsche

Inhaltsübersicht:

Die reine Vermittlung von Fakten-Wissen schafft heutzutage kaum Mehrwert. Denn zum einen vermehrt sich Wissen im traditionellen Verständnis rasch und veraltet entsprechend schnell, zum anderen machen neue Technologien Wissen zeitnah und überall verfügbar. Das schafft Herausforderungen, aber auch Freiheiten. Konsultiert man Studien wie den „The Future of Jobs“ Report des World Economic Forum, wird klar: Der Arbeitsmarkt verändert sich nachhaltig, neue Kompetenzen werden benötigt, andere obsolet. Entsprechend müssen sich HR-Abteilungen neu erfinden, Fähigkeiten in der Belegschaft gezielt aufbauen, Mitarbeiter weiterbilden und Talente – externe wie interne – zur Erreichung des Unternehmensziels koordinieren.

wissensmanagement: Herr Nitzsche, wie wollen Sie Vermittlung und Management von Wissen revolutionieren?

Manuel Nitzsche: Neu erfinden müssen sich aber vor allem Bildungseinrichtungen, denn sie bereiten Menschen auf Leben sowie Arbeitsmarkt vor und begleiten diese während des ganzen Arbeitslebens. In der Regel sind Hochschulen, Fachhochschulen und Business Schools die Orte, wo – über Fakten-Wissen hinaus – die essentiellen und geforderten Kompetenzen vermittelt werden: Lösung komplexer Aufgaben, kritisches und zielorientiertes Denken, Kreativität, kooperatives Arbeiten, soziale Skills und Ähnliches.

Kurzum: Mehrwert entsteht, wenn sich Bildung darauf konzentriert, Fähigkeiten zu vermitteln, die der Computer nicht hat und dabei das Effizienz-Potenzial des Computers nutzt. Kompetenz statt Wissen. Eine Revolution? Wenn wir von der vierten industriellen Revolution sprechen, kann man die konsequente Antwort darauf vielleicht ebenfalls als revolutionär bezeichnen. Mithilfe von Technologie Lehren und Lernen einfacher und effizienter machen – das ist unsere Idee.

wm: Wie können Hochschulen als Vermittler von Wissen und Bildung von Technologie profitieren?

Nitzsche: Hochschulen bilden aus, vermitteln Wissen und treiben Forschung voran. Technologie kann in all diesen Bereichen große Vorteile verschaffen und hat es in den rund 20 Jahren, seitdem E-Learning an deutschen Hochschulen genutzt wird, getan. Mit dem Fortschritt der Technik ist heute noch deutlich mehr möglich geworden.

Der Hebel für eine bessere und individuellere Hochschulbildung liegt dabei nicht nur in der Verlagerung der Lehre auf eine digitale Plattform. Entscheidend ist, dass mithilfe von Technik kollaboratives Lernen und neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Lehrenden, Lernenden und Organisationen entstehen. Ob Videokonferenzen, virtuelle Sprechstunden oder Video-Teaching – die Ergänzung der Lehr- und Lernformen durch Online-Angebote ermöglicht motivierende und individualisierte Lernerlebnisse, die so im bisherigen Hochschulbetrieb nicht möglich waren. Moderne Kollaborationstools und ein Learning Management System als integrierende Plattform schaffen das Fundament, um sich auf die neuen Erfordernisse auszurichten. Davon profitieren Lehrende, Lernenden und Hochschulen gleichermaßen.

wm: Welche Methoden schlagen Sie vor?

Nitzsche: Grundsätzlich sollten Lehrprogramme die Anforderungen des späteren Anwendungsfeldes möglichst aufgreifen und praxisorientiert darauf vorbereiten. Die digitale Hochschule hat hier ein deutlich umfangreicheres methodisches Portfolio. Blended Learning etwa kombiniert Präsenz- und Online-Lernen geschickt, Analysen geben Auskunft über Lernfortschritte und optimieren Lernerfahrungen.

Im Hinblick auf die notwendigen kollaborativen Kompetenzen könnten Studierende beispielsweise auf Basis von Case Studies lernen und gemeinsam Ideen und Lösungen für praktische Anforderungen entwickeln. Auch bei der Leistungsbewertung können neue Wege gegangen werden. Peer Reviewing, bei dem Studierende ihre Leistungen gegenseitig bewerten, ist im angloamerikanischen Raum heute bereits sehr verbreitet. Eine Königsmethode gibt es aber nicht, stattdessen sorgt Vielfalt für mehr Freiheit beim Lehren und Lernen.

wm: Wie verändern sich die Aufnahme und Nutzung von Wissen?

Nitzsche: Genauso wie man im beruflichen Umfeld von „Flexible Working“ spricht, ist auch das Lernen nicht mehr zwingend an feste Zeiten oder einen festen Ort gebunden. Das kommt übrigens auch den Anforderungen der Generation Y und Z entgegen.

Es ist schon seit länger Zeit bekannt, dass es verschiedene Lerntypen gibt, die neben dem bevorzugten Medium (Text, Audio, Video) auch unterschiedliche Biorhythmen haben, unterschiedlich schnell vorgehen wollen und unterschiedlich viel Zeit am Stück zur Verfügung haben. Aufnahme und Nutzen von Wissen folgt keinen festen Regeln und lässt sich nach meiner Erfahrung auch nur schwerlich standardisieren. Setzt man nun Technik als Unterstützung beim Lernen ein, kann man – ohne enorme Zusatzaufwände – auch auf die individuellen Präferenzen der Lernenden eingehen.

wm: Und Wissensvermittler? Warum sollte man neue Wege gehen?

Nitzsche: Aus der Änderung des Wissensbegriffes und den geänderten Anforderungen unseres Alltags ergibt sich auch eine neue Rolle des Wissensvermittlers. Dieser sollte aus meiner Sicht standardisierte Formen der Wissensvermittlung durch eine dynamischere und individuellere Form der Kompetenzentwicklung ersetzen. Dabei darf es aber nicht darum gehen, alles abzuschaffen, was wir heute kennen – zum Beispiel die Präsenzlehre. Diese hat ihre Stärken! Es geht vielmehr darum, bewährte Lehr- und Lernformate zu erweitern – um die Möglichkeit der dezentralen Kollaboration, um neue Medien und um zeit- und ortsunabhängiges Lernen. Der Wissensvermittler orchestriert dabei alle Formate auf Basis seiner inhaltlichen und didaktischen Kompetenz und kann die Inhalte zudem ständig aktuell halten.

wm: Wie lassen sich letztlich Technologie, Organisation und Informationsfluss optimal aufeinander ausrichten?

Nitzsche: Dies ist der eigentliche Kernpunkt und eine zentrale Aufgabe bei der Digitalisierung: Technologie und Prozesse müssen intelligent aufeinander abgestimmt sein. Dabei muss klar sein, dass neue Technologie nicht zum Selbstzweck eingeführt wird, sondern dazu dient, neue didaktische Ansätze zu unterstützen. Beispielsweise: Wie kann Technologie helfen, wenn aus klassischer Präsenzlehre der Inverted Classroom werden soll?

Am Anfang steht also ein neues Konzept, eine Strategie wie Blended Learning, um beschränkte Ressourcen möglichst effizient einsetzen zu können. Dazu müssen Prozesse betrachtet (Was passiert heute noch analog und sollte morgen virtuell abgebildet werden?) und die richtige Technologie einsetzt werden. Etwa ein cloudbasiertes Learning Management System, um die Präsenzlehre online anreichern zu können.

wm: Sie betonen den Begriff Cloud native, was hat es damit auf sich?

Nitzsche: Cloud native als moderne Bereitstellung von Software bedeutet, dass die Software von Anfang an für die Nutzung in der Cloud vorgesehen war. Im Gegensatz dazu wird oftmals schon dort von Cloud gesprochen, wo eine Anwendung lediglich über das Internet bereitgestellt wird, ursprünglich aber zur lokalen Installation konzipiert wurde. Das mag sich spitzfindig anhören, hat aber enorme Konsequenzen. Denken Sie nur an die häufigen Android-Release-Wechsel oder notwendige funktionale Erweiterungen. Bei einem Cloud native LMS erledigt das der Anbieter oder Sie bedienen sich im App-Store. Bei anderen Anwendungen sind beide Fälle zwar auch lösbar, erfordern aber Plugins oder einen direkten Eingriff in den Anwendungskern. Bei späteren Updates offenbaren sich dann die Inkompatibilitäten oder auch gravierende Sicherheitslücken. Das ist für eine Hochschule mit laufendem Lehrbetrieb völlig inakzeptabel.

wm: Lebenslanges Lernen – bieten Sie hierzu die Voraussetzung oder braucht es deutlich mehr?

Nitzsche: Technisch bieten wir mit Canvas sehr gute technische Voraussetzung für lebenslanges Lernen. Letztendlich aber müssen Bildungseinrichtungen für sich selbst entscheiden, ob und wie sie Weiterbildungsangebote anbieten. Das geschieht auch. Ich sehe, dass Hochschulen sich zunehmend öffnen und Angebote für „externe“ Studierende schaffen – nicht nur für die klassischen Gasthörer. Auch ist es für Arbeitnehmer durchaus üblich geworden, einen weiteren Studiengang wie einen MBA nach einigen Berufsjahren parallel zum Beruf zu absolvieren. Arbeitgeber haben erkannt, dass sie ihren Mitarbeitern Weiterbildungsmöglichkeiten einräumen müssen, um diese weiterzuentwickeln, für die Herausforderungen der Arbeitswelt fit zu machen und sie gleichzeitig an das Unternehmen zu binden. Politisch könnten Weiterbildungsangebote noch besser unterstützt werden. Ich könnte mir beispielsweise Bildungszeit in Anlehnung an Familien- oder Pflegezeit vorstellen. Insgesamt liegen für alle Bildungseinrichtungen hier enorme Möglichkeiten.

wm: Und was begeistert Sie privat?

Nitzsche: Mir persönlich ist es wichtig, in der Freizeit einen Ausgleich zum oft hektischen Alltag zu finden und dennoch regelmäßig den eigenen Horizont zu erweitern. Dazu gehören zum Beispiel Reisen, Schach spielen und – ganz wichtig – der Austausch mit Freunden, die in anderen Lebensumständen und ganz unterschiedlichen Disziplinen tätig sind.

wm: Herr Nitzsche, vielen Dank für das Gespräch.

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