2003/8 | Fachbeitrag | Wissensmanagement einführen

Wissensorientiertes Performance Measurement für die öffentliche Verwaltung

von Marc Schomann und Stephan A. Dössel

 

 

Inhaltsübersicht:

 

 

 

 

 

Gesellschaft, Unternehmen und öffentliche Verwaltungen werden

zunehmend von der Ressource Wissen beeinflusst. Traditionelle

betriebswirtschaftliche Konzepte sind dabei immer seltener geeignet, um die

aktuellen Probleme der Praxis anzusprechen und zu lösen. Ein besonders

relevantes Defizit der Betriebswirtschaft besteht in ihrem Mangel an

geeigneten Verfahren und Instrumenten für eine ganzheitliche

Verwaltungsplanung und -steuerung, die den heutigen Anforderungen der

Wissensökonomie gerecht werden.

 

 

 

 

Neue Anforderungen an die öffentliche Verwaltung

 

 

 

Eine steigende Komplexität und Dynamik von Verwaltungsabläufen, eine

Verschärfung der Finanzmittelknappheit der öffentlichen Haushalte sowie ein

Umbruch bestehender Strukturen kennzeichnen die Rahmenbedingungen heutiger

Verwaltungen. Beschleunigt wird der damit einhergehende Wandel durch eine

verstärkte Bürger- und Dienstleistungsorientierung sowie

informationstechnologische Entwicklungssprünge, denen sich auch öffentliche

Verwaltungen nicht länger entziehen können.

 

 

 

 

Diese Entwicklungen ziehen ein Dilemma der strategischen Führung nach sich:

Einer zunehmenden Anpassungszeit für notwendige Reaktionsmaßnahmen steht

eine abnehmende Vorhersehbarkeit von Umweltveränderungen sowie eine

Verkürzung der Reaktionszeiten gegenüber. Hieraus ergibt sich die klare

Forderung, durch Wissen und Lernen die Fähigkeit zu kontinuierlicher

Effektivitätssteigerung und Entwicklung zu erlangen. So sollen die Verwaltungen

einen antizipativen Transformationsprozess an die sich ständig ändernden

Umwelt- und Rahmenbedingungen etablieren und damit letztendlich geeignete

Lösungsalternativen für Problemsituationen bereitstellen können.

 

 

 

 

Die in diesem Zusammenhang aus der Betriebswirtschaft bekannten

Lösungsinitiativen wie Total Quality Management, Business Process

Reengineering und Kostenmanagement greifen hier zu kurz. Eine ganzheitliche

Denkweise ist gefordert. Gemeint ist damit ein integrierendes,

zusammenhängendes Denken, das auf einem breiten Horizont basiert, von

großen Zusammenhängen ausgeht, viele Einflussfaktoren der Verwaltungsleistung

berücksichtigt und weniger isolierend und zerlegend ist als das übliche Vorgehen.

Hierzu bedarf es zukunftsorientierter Planungs- und Steuerungsinstrumente, die

die Organisation jederzeit über den Zustand ihrer aktuellen und zukünftigen

Leistungsfähigkeit – auch unter Berücksichtigung verschiedener

Interessensgruppen – informieren. Ein klarer Fall für Performance Measurement

und Wissensmessung.

 

 

Performance Measurement als kennzahlenbasiertes Planungs- und Steuerungsinstrument

 

 

 

Kennzahlen und Kennzahlensysteme gehören seit der Etablierung des Neuen

Steuerungsmodells (NSM) zum festen Bestandteil des

Controlling-Instrumentariums deutscher Verwaltungen. Betrachtet man die

verwendeten Kennzahlen jedoch genauer, so zeigen sich deutliche

Verbesserungspotenziale. Die Hauptprobleme bestehen in einer zu starken

finanziellen Ausrichtung, dem Fehlen lern- und wissensbezogener Kennzahlen

sowie einer zu starken Vergangenheitsorientierung. Die Ansätze des Performance

Measurements versprechen hier Abhilfe. Performance Measurement bezeichnet

die Neukonzeption kennzahlenbasierter Instrumente der Unternehmensplanung

und -steuerung. Dabei werden die Leistungen verschiedener Anwendungsobjekte

oder Leistungsebenen (z.B. Organisationseinheiten unterschiedlicher Größe,

Mitarbeiter, Prozesse) systematisch erfasst und vorfolgt. Besonderes Merkmal:

Nicht nur finanzielle Kennzahlen werden berücksichtigt, sondern auch

nicht-finanzielle Größen. Ziel dabei ist es, eine ganzheitliche Planung und

Steuerung der Leistung zu ermöglichen.

 

 

 

 

Wissensmessung als Instrument der wissensorientierten Unternehmensführung

 

 

 

Neben der Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtungsweise von Planungs-

und Steuerungsgrößen setzt sich zudem die Erkenntnis durch, dass sich die

organisationale Wissensbasis sowie die Fähigkeit zu deren Weiterentwicklung und

Nutzung längst zum entscheidenden Bestimmungsfaktor der aktuellen und

zukünftigen Leistungsfähigkeit einer Organisation entwickelt hat. Aktuell basieren

die Planungs- und Steuerungsinstrumente noch ausschließlich auf materiellen

Vermögensgegenständen. Große Anstrengungen von Unternehmen, mittels

Wissensmanagement die Ressource Wissen zu erschließen, sowie zahlreiche

Initiativen des öffentlichen Sektors (z.B. der vom Bundesministerium für Wirtschaft

und Arbeit initiierte Wettbewerb „WissensMedia“ für Wissensmanagement in

mittelständischen Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung) belegen jedoch

ein erhebliches Interesse an diesem Thema wie auch den Willen, hier etwas

voranzubringen. In Abhängigkeit von der Betrachtung des Wissens als Objekt oder

Prozess ergeben sich bei einem zukunftsorientierten Wissensmanagement

folgende Zielsetzungen:

 

 

  • Bewertung der organisationalen Wissensbasis
  • Evaluierung von Investitionen zur Weiterentwicklung der organisationalen Wissensbasis
  • Beschreibung und Diagnose der organisationalen Wissensbasis und der lernenden Organisation
  • Planung und Steuerung von Maßnahmen zur Weiterentwicklung der organisationalen Wissensbasis

 

 

 

Bei der Übertragung der theoretischen Konzepte des Wissensmanagements in die

Praxis und bei der Beantwortung der zentralen wissensrelevanten Fragestellungen

spielen die unterschiedlichen Rahmenbedingungen von Privatunternehmen und

öffentlichen Verwaltungen eine wichtige Rolle: Beim Aufbau eines

Wissensmanagements müssen Verwaltungsorganisationen teilweise andere

Schwierigkeiten überwinden als privatwirtschaftliche Unternehmen. Besonders

schwerwiegend sind dabei die oftmals fehlenden und unklar operationalisierten

Zielvorgaben sowie die stark eingeschränkte Möglichkeit einer exakten

quantitativen Bewertung des Verwaltungsoutputs.

 

 

 

 

Privatunternehmen

Öffentliche Verwaltung

 

Wissensziele

Wissen als Wettbewerbsvorteil (Wissensziele abgeleitet aus den Unternehmenszielen)

kein Wettbewerbsdruck vorhanden (eher Effizienzziele)

Wissensidentifikation

Transparenz mit Hilfe von z.B. Expertenverzeichnissen, Wissenslandkarten, Yellow Pages sowie durch Verfahren des Wissensaudits

Wissenserwerb

aus externen Quellen (z.B. Kooperation, Akquisition)

externe Quellen werden oft nicht finanziert, daher sind andere Maßnahmen nötig (z.B. übergeordnete Behörden, Kooperation mit anderen Institutionen)

Wissensentwicklung

F&E-Aktivitäten

keine F&E-Aktivitäten

Wissensverteilung

häufiges Hindernis: Funktionsdenken der Mitarbeiter

Bereichsorientierung, "Autonomie" trotz ausgeprägter Hierarchie

Wissensnutzung

Nutzungsbarrieren müssen überwunden werden

Wissensbewahrung

Bewahrung von implizitem und explizitem Wissen

Wissensbewertung

Erfolg und dessen Messung ist abhängig von Wissenszielen

kein Bezug zu Wettbewerbsvorteilen vorhanden, daher Kontrolle schwieriger

 

 

 

 

Gestaltung eines wissensorientierten Performance-Measurement-Systems

 

 

 

Kombiniert man nun die Elemente des Performance Measurements auf der einen Seite und der Wissensmessung auf der anderen Seite zu einem wissensorientierten Performance Measurement, so kann ein Instrument der kennzahlenbasierten Unternehmensplanung und steuerung entwickelt werden, das die unterschiedlichsten Anforderungen erfüllt. Übergreifendes Ziel dabei ist die Messung und Beurteilung der Leistung, der Leistungspotenziale und der Leistungsbereitschaft der Organisation unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung der organisationalen Wissensbasis, des organisationalen Lernens sowie der Determinanten des organisationalen Lernens.

 

 

 

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Zielsetzungen des wissensorientierten Performance Measurements

 

 

 

Grundlage eines wissensorientierten Performance-Measurement-Systems bildet ein mehrdimensionales Kennzahlensystem, das idealerweise auf einer Mischung aus finanziellen und nicht-finanziellen, quantitativen und qualitativen Kennzahlen basiert. Zentrales Gestaltungsmerkmal ist dabei die starke Betonung der wissensorientierten Kennzahlen. Diese lassen sich sechs verschiedenen Kategorien zuordnen:

 

 

 

Kennzahlenkategorie

Messobjekt

Beispiele

Finanzielle Ergebniskennzahlen

Messung der Erfüllung der finanziellen kritischen Erfolgsfaktoren (Einhaltung von Budgetvorgaben, Planungsgenauigkeit etc.)

Outcome, Stückkosten, Kontraktkennzahlen

Nicht- finanzielle Ergebniskennzahlen

Beschreibung der Erfüllung der nicht-finanziellen kritischen Erfolgsfaktoren (z.B. Erfüllung von Kundenerwartungen)

Zufriedenheit der Stakeholder (Bürger, Mitarbeiter, Legislative)

Kennzahlen der Wissensumsetzung

Beschreibung der Resultate bei der Nutzung der Wissensbasis

Prozessqualität, Durchlaufzeit

Kennzahlen des Wissensbestands

Beschreibung der verschiedenen Elemente der Wissensbasis auf individueller, organisationaler und interorganisationaler Ebene

Bildungsgrad

Kennzahlen der Wissensdeterminanten

Beschreibung der Rahmenbedingungen zur Weiterentwicklung der Wissensbasis auf individueller, organisationaler und interorganisationaler Ebene

F[Y¨]hrungskompetenz, Informations- und Kommunikationstechnologie

Kennzahlen der Wissensintervention

Beschreibung der Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Wissensbasis auf individueller, organisationaler und interorganisationaler Ebene

Schulungstage pro Mitarbeiter, Aufwendungen f[Y¨]r Prozessversbesserungen

 

 

Zur systematisierten Erfassung wird der organisationale Wissensbestand in drei Elemente untergliedert:

 

 

 

 

  • Der Wissensbestand auf individueller Ebene beschreibt dabei den Wissensbestand, über den nur Individuen, d.h. die Mitarbeiter der Verwaltung, verfügen.
  • Der Wissensbestand auf organisationaler Ebene beschreibt den Wissensbestand der Organisation, d.h. den Wissensbestand, über den die Mitarbeiter kollektiv verfügen, bzw. den Wissensbestand, der unabhängig von der Organisationszugehörigkeit einzelner Mitarbeiter ist.
  • Der Wissensbestand auf interorganisationaler Ebene beschreibt den Wissensbestand, über den die Verwaltung und seine Stakeholder gemeinsam verfügen.
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Ebenen der Kennzahlen des Wissensbestands

 

Ausblick

 

 

 

Der Erfolg der Verwaltungsmodernisierung wird zukünftig davon abhängen, inwieweit es gelingen wird, aus der Flut von Daten, Informationen und Wissen auf effiziente Weise jenes Wissen zu identifizieren, das in den verschiedenen Verwaltungsprozessen benötigt wird, es mit einfachen, zugänglichen Mitteln zu transportieren, es an allen erforderlichen Stellen zu nutzen und so schließlich auch neues Wissen zu generieren. Das interdisziplinäre Konzept des wissensorientierten Performance Measurements wird dieser Anforderung gerecht. Aber an Forschungsbedarf wird es auch in Zukunft nicht fehlen. Denn ein profundes Verständnis der Zusammenhänge zwischen Unternehmenszielen, kritischen Erfolgsfaktoren und der Wissensbasis sowie die hohen Koordinations- und Kommunikationsanforderungen setzen nicht nur eine Fortentwicklung bestehender Konzepte voraus, sondern auch eine Weiterentwicklung der Fähigkeiten der Mitarbeiter, die mit den zukünftigen Aufgaben der Unternehmensplanung und steuerung betraut sind. Es bleibt viel zu tun.

 

 

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