2000/10 | Fachbeitrag | Wissenskonzeption

Vom Mitarbeiter zum Mitdenker

von Olaf Meyer

 

Von Olaf

Meyer

 

Inhaltsübersicht:

 

 

Kaum ein

Unternehmen wird zukünftig ohne Wissensmanagement auskommen.

Doch der organisatorische Wandel vom Industrie- zum Informationszeitalter

erweist sich als schwierig. Es scheint, als könne der treue

Begleiter Computer den Unternehmen bei der Wissenserschließung

nicht helfen. Zukünftig erfolgreiche Unternehmen werden ihre

Mitarbeiter zu Mitdenkern befähigt haben und bieten ihnen durch

eine entspechende Wissenskonzeption die Rahmenbedingungen für

erfolgreiche Kopfarbeit.

 

 


Vom Informationsmanagement zum Wissensmanagement

 

 

 

 

 

Seit seiner

Einführung prägt der Mikrochip maßgeblich die wirtschaftliche

Entwicklung. Unser heutiger Produktivitätsstandard wäre

ohne modernste Roboter-, Computer- und Satellitentechnik nicht möglich

gewesen. Doch nachhaltige Wettbewerbsvorteile sind heutzutage trotz

modernster Technik kaum noch zu erreichen. Um auch zukünftig

einen Schritt vor der Konkurrenz zu liegen, bedarf es innovativer

Leistungen, schnell lernender Organisationen und einer systematischen

Wissensgenerierung. Dies sind nachhaltige Leistungen, die sich nicht

so einfach durch Automatisierung, Standortwechsel oder Fusionen

erreichen lassen.

 

 

Es könnte

schon zu einer beachtlich höheren Produktivität und größeren

Wettbewerbsvorteilen führen, wenn das im Unternehmen bereits

vorhandene Wissen genutzt würde. Die betriebliche Organisation

von Wissen ist schwierig: Im Gegensatz zu reinen Informationen ist

Wissen immer an Personen gebunden. Wissen entsteht durch die Verknüpfung

von Informationen mit Vorwissen, Vorerfahrungen und Wertvorstellungen

einer Person. Hinzu kommt, dass Wissen häufig an einen bestimmten

Kontext gebunden ist nicht beliebig auf andere Situationen übertragen

werden kann.

 

 

 

Ideen

werden von Menschen gemacht, nicht von Maschinen. Daher ist es verwunderlich,

dass Wissensmanagement häufig auf den Einsatz von Datenbanken

reduziert wird. Vielmehr sollte der Mensch im Mittelpunkt stehen:

Welcher Vorgesetzte kennt die Hobbys und privaten Ambitionen seiner

Mitarbeiter und kann daraus auf deren Talente und Fähigkeiten

schließen? Viel Wissen und zahlreiche Talente sind in jedem

Unternehmen bereits vorhanden und müssen nur effektiv genutzt

werden. Unternehmen, die Wissen nutzen wollen, müssen beim

Mitarbeiter einen Veränderungsprozess zum Mitdenker in Gang

setzen. Der Mitdenker hat gelernt, sein Wissen mit den im Folgenden

dargestellten vier Schritten zu managen.

 

 

 

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Informationen recherchieren

 

 

"Wenn ich wüsste,

was ich nicht weiß" müsste für diesen ersten Schritt

das Motto jedes Mitarbeiters heißen. Hier geht es darum, die

eigenen Lücken des Wissens und Könnens zu erkennen und

zu schließen. Lücken erkennt der Mitdenker immer dann,

wenn er mit neuen Anforderungen konfrontiert wird. Wenn er feststellen

muss, dass seine Erfahrung nicht ausreicht oder er sich nicht auf

seine Erfahrung berufen möchte. Der Mitdenker hat Wissensdurst

entwickelt und recherchiert Informationen, um seine Lücken

konsequent zu schließen. Informationen erhält er im Gespräch

mit Kollegen oder Vorgesetzten, in Datenbanken oder im Internet

sowie durch das Studium von Tages- oder Fachzeitungen. Damit es

dabei nicht zu einer Informationsflut kommt, müssen die recherchierten

Informationen allerdings aufbereitet werden.

 

 

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Informationen typgerecht speichern

 

 

Die Wirtschaft

entwickelt sich immer schneller immer weiter. Wissenslücken

müssen somit immer schneller geschlossen werden. Doch die schulische

und berufliche Ausbildung haben den Mitdenker nicht hinreichend

darauf vorbereitet. Kaum jemandem ist bewusst, zu welchem der drei

Wahrnehmungstypen er gehört:

 

  • visuell:
    optimale Informationsaufnahme über das Sehen
  • auditiv:
    optimale Informationsaufnahme über das Hören
  • kinästhetisch:
    optimale Informationsaufnahme über das Fühlen

 

Werden Informationen

jedoch lerntypgerecht aufbereitet, wird die Speicherung im Gehirn

wesentlich erleichtert. So sollte beispielsweise der visuelle Typ

ein grafisches Besprechungsprotokoll anfertigen, um Informationen

schneller aufzunehmen und behalten zu können.

 

 

Für die

typgerechte Aufbereitung gibt es zahlreiche Methoden und Techniken.

Sie reichen vom Mindmapping bis zur klassischen Eselsbrücke.

In Denkpausen verknüpft das Gehirn die neuen Informationen

mit bereits vorhandenen Erfahrungen. Diese Vernetzung ist die Grundlage

für neue Ideen, die abrufbar und in Wettbewerbsvorteile umsetzbar

sind.

 

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Wissen nutzen

 

 

 

Aus aufgenommenen

Informationen und vorhandenen Erfahrungen produziert unser Gehirn

ständig neues Wissen. Damit dieses Wissen wirtschaftlich verwendet

werden kann, muss es zuvor abgerufen werden. Das Abrufen von Wissen

kann der Mitdenker selbst tun (pull) oder es kann von außen

erfolgen (push). Generiert der Mitdenker Wissen selbst, spielt der

Wahrnehmungstyp wiederum eine wichtige Rolle: Visuelle Typen bereiten

Informationen grafisch auf, während auditive Typen eher ein

persönliches Gespräch bevorzugen. Wissen entsteht auch,

wenn es von außen abgerufen wird. Durch Projektgruppen, Job-Rotation

oder Verbesserungsprogramme können Unternehmen die Wissensnutzung

und -generierung des Mitdenkers fördern.

 

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Wissen teilen

 

 

Das Potenzial

eines Unternehmens steckt aber nicht im Wissen einiger weniger Experten,

sondern im Wissen der gesamten Organisation. Dazu muss das Wissen

geteilt werden. Wird Wissen generiert, entstehen daraus für

andere Mitdenker Informationen. Zusammen mit den eigenen Erfahrungen

können diese Informationen wieder neues Wissen bilden.

 

 

 

Die Verbreitung

von Wissen kann auf verschiedene Weise erfolgen: Wissen kann in

Gesprächsrunden oder Projektgruppen geteilt oder in Datenbanken

dokumentiert werden. Entscheidend ist, dass das Wissen so aufbereitet

wird, dass es für andere als Informationsquelle für eine

weitere Wissensgenerierung dienen kann.

 

 

In der Vergangenheit

bedeutete Wissen für den Mitarbeiter Macht; der Mitdenker hat

verstanden, dass Wissensmanagement kein Machtspiel ist. Er konzentriert

sich nicht ausschließlich auf seine Karriere, sondern auf

den wirtschaftlichen Erfolg des gesamten Unternehmens, der letztendlich

auch ihm und seiner Karriere zugute kommt. Trotzdem ist der Wissenstransfer

nur schwer organisierbar.

 

 

Bisher haben

Unternehmen die Arbeitsorganisation für den Mitarbeiter übernommen.

Die Arbeit bestimmte die Tätigkeit, den Ablauf, die Kollegen,

die Werkzeuge usw. Wird Wissensmanagement in einem Unternehmen eingeführt,

organisiert nicht mehr die Arbeit den Mitarbeiter, sondern der Mitdenker

übernimmt die Verantwortung für sich und seine Arbeit.

Der Mitdenker denkt unternehmerisch und arbeitet selbstgesteuert.

Selbstgesteuert heißt aber nicht, dass der Mitdenker außerhalb

seines bereits bestehenden Kompetenzbereichs selbst verantwortlich

handeln kann. Dies ist organisatorisch und rechtlich nicht möglich.

Selbstgesteuert heißt vielmehr, dass der Mitarbeiter selbständig

Informationen recherchiert, um seine Wissenslücken zu schließen,

selbständig Ideen präsentiert, diese mit Kollegen teilt

und umsetzt.

 

 

 

Unternehmen

müssen umdenken: Mitdenker brauchen nicht die gleichmachende

Organisation, wie sie für Mitarbeiter nötig war. Mitdenker

brauchen Freiheiten und Bewegungsspielräume. Das Unternehmen

stellt seinen Mitdenkern lediglich die erforderlichen Rahmenbedingungen

zur Verfügung, deren Koordination durch die Vorgesetzten erfolgt.

 

 

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Vom Kostenfaktor zum Erfolgsfaktor

 

 

Unternehmen

dürfen ihre Mitarbeiter nicht mehr länger als ihren größten

Kostenfaktor, sondern müssen ihre Mitdenker als ihren größten

Erfolgsfaktor ansehen. Die Ideen der Mitdenker sind die Grundlage

für die nachhaltigen Wettbewerbsvorteile der Zukunft. Der Mitdenker

muss gedanklich in den Mittelpunkt der betrieblichen Organisation

rücken. Diese Denkweise dürfte den meisten Unternehmen

auch nicht schwer fallen. Seit Einführung des Marketinggedankens

steht im Absatzbereich der Kunde im Mittelpunkt. Wie im Marketing

die Marketingkonzeption sollte ein Unternehmen für das Wissensmanagement

eine Wissenskonzeption erstellen, in deren Mittelpunkt der Mitarbeiter

steht.

 

 

 

 

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Wissenskonzeption in 5 Phasen

 

1. Analyse

 

In dieser

ersten Phase wird der Ist-Zustand bestimmt. Zu klären ist:

 

 

  • Wer sind die Wissensträger?
  • Wie wird Wissen momentan weitergegeben?
  • Wo ist Wissen für die betriebliche Weiterentwicklung nötig?

2. Zielsystem

 

 

Ziele stellen

den Soll-Zustand dar, der vom Unternehmen vorgegeben und von den

Mitdenkern umgesetzt wird. Bei der Festlegung des Soll-Zustands

ist zu beachten, dass nicht nur die betrieblichen Ziele, sondern

auch die persönlichen Ziele der Mitdenker in die Zielhierarchie

einfließen. Zielkonflikte, wie sie in jedem Zielsystem vorkommen,

gilt es einvernehmlich zu lösen. Ziele haben im Wissensmanagement

eine herausragende Bedeutung. Für den Mitdenker besteht ständig

die Gefahr, sich in seiner Arbeit zu verzetteln. Ziele geben ihm

und den Vorgesetzten die richtungsweisende Orientierung.

 

3. Strategien

 

Strategien

legen den Weg fest, über den die Ziele erreicht werden sollen.

Obwohl Strategien eher langfristig orientiert sind, sollten sie

im Rahmen einer Wissenskonzeption eine hinreichende Flexibilität

aufweisen. So wird gewährleistet, dass die Organisation auf

Veränderungen und neue Erkenntnisse schnell reagieren kann.

Strategien werden festgelegt zu:

 

 

  • Informationsrecherche
  • Wissensnutzung
  • Wissenstransfer

 

Strategien

legen auch einen Kulturwechsel im Unternehmen fest, der für

Wissensmanagement unumgänglich ist. Ziel des Wechsels ist,

nicht mehr den Einzelkämpfer mit Karrieredenken, sondern den

Mitdenker mit teamorientiertem Blick für den Gesamterfolg des

Unternehmens zu fördern.

 

 

4. Maßnahmen

 

Die Maßnahmen

einer Wissenskonzeption sind in Anlehnung an das Marketing in vier

Bereiche unterteilt:

 

  • Instrumentalbereich (z.B. Kreativitätsräume)
  • Kontrahierungsbereich (z.B. Anreizsysteme, Arbeitszeitkonten)
  • Distributionsbereich (z.B. Wissensmärkte, Berichtssysteme)
  • Kommunikationsbereich (z.B. Grafiken, Visualisierungen, Gelbe Seiten)

5. Controlling

 

Das Controlling

bewertet den gewählten Maßnahmen-Mix und erarbeitet Ansätze

zur Optimierung.

 

 

 

 

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Fazit

 

 

Die Wertschöpfung

durch Wissensmanagement ist langwierig, aber nötig. Die Einführung

von Wissensmanagement in einem Unternehmen ist nicht einfach, aber

möglich. Die größte Aussicht auf Erfolg besteht

dann, wenn die Mitarbeiter ihre neue Rolle als Mitdenker akzeptieren.

Diese Akzeptanz entsteht, wenn die Mitarbeiter sorgfältig auf

ihre neue Aufgabe vorbereitet werden und das Unternehmen alles tut,

um sie dabei zu unterstützen.

 

 

Literatur

 

 

 

Erfolgreich

durch Lernen. Hrsg.von RKW Köln. Köln: Wirtschaftsverlag

Bachem 1999.

 

 

Götz,

Klaus (Hrsg.): Wissensmanagement. 2. Aufl. München: Rainer

Hampp Verlag 2000.

 

 

North, Klaus:

Wissensorientierte Unternehmensführung. 2. Aufl. Wiesbaden:

Gabler Verlag 1999.

 

 

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