2005/7 | Fachbeitrag | Wissensmanagement-Ansatz

IT-Strategy-Balancing

von Jochen Scheel, Michael Domsalla

Von Jochen Scheel, Michael Domsalla

Inhaltsübersicht:

Die Herausforderungen im Wissensmanagement beginnen mit der Auswahl der Werkzeuge. Selten werden dabei bereits vorhandene Strukturen und die etablierten Arbeitsprozesse der Mitarbeiter beachtet. Die Auswirkungen neuer Prozesse - auch ihrer Mängel - bekommen Unternehmen oft erst zu spüren, wenn diese bereits laufen. So ist dem Management oft nicht bewusst, wie die Lücken ihrer grobmaschigen Planung in der Praxis durch informelle Selbstorganisation gefüllt werden. Korrekturen sind dann meist nur noch an der Oberfläche möglich.

Verschiedene Welten

Nahezu die gesamte innere Erfolgs- und Kompetenzbewertung von Unternehmen basiert auf messbaren Größen oder leitet sich aus ihnen ab. Bislang entzieht sich der Produktivfaktor Wissen einer solchen Messbarkeit. Demzufolge wird der Beitrag von Wissensarbeit in Unternehmen nicht anerkannt. Unter diesen Umständen wird explizite Wissensarbeit immer vermeidenswerte Mehrarbeit bleiben: In den Augen des einzelnen Mitarbeiters ist sie eine Belastung, die ihn von seiner eigentlichen Arbeit ablenkt. Wissensmanagement unter diesen Voraussetzungen führt zu Konflikten mit den Zielen der individuellen Aufgabe jedes Mitarbeiters - und spätestens über den kollektiven Motivationsverlust auch mit den Zielen der Organisation. Hierin kommt die Relevanz psycho-sozialer Aspekte einer erfolgreichen Unternehmensführung klar zum Ausdruck.

Erschwerend kommt hinzu, dass Sprache und Denkgewohnheiten von Prozesseignern und Technologen zuweilen weit auseinander gehen. Wo die einen von Anforderungen reden, sprechen die anderen von "Tools und Features". Sie arbeiten in unterschiedlichen Welten. Für ein gegenseitiges Verständnis bräuchte es einen Brückenschlag. Man kann erfahrungsgemäß den Einzelnen nur schwer dazu bewegen, sein Wissen ohne Gegenwert für ihn - sei es in Zeit, Geld, Erfolg oder Zugehörigkeitsgefühl - der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.

Effizienz und Effektivität

Damit neue Technologien ihre hohen Investitionssummen wieder einspielen, werden vor der Anschaffung verschiedene Systeme verglichen. Nach sorgfältig ausgewählten Kriterien wird das effizienteste System ermittelt. Der zentrale Fokus liegt derzeit oft auf der Senkung der Kosten. Dieses Auswahlverfahren ist jedoch aufgrund der ausschließlich technologischen Sichtweise mangelhaft. Warum, wird ersichtlich, wenn man sich exemplarisch eine Situation betrachtet, die technisch nur mit großem Aufwand, mit strukturellen Methoden jedoch einfach zu lösen ist.

Ein Unternehmen forscht und produziert für unterschiedliche Märkte mit jeweils eigenen F&E-Abteilungen. Mittels Wissensmangement sollen die einzelnen Abteilungen systematisch voneinander profitieren. Bezogen auf ihre aktuellen Fragestellungen sollen die Forscher über unternehmensweit bestehende Lösungen informiert werden. IT-gestützt und mittels Push-Verfahren könnten sich dadurch die Entwicklungszeiten im Einzelfall drastisch verkürzen. Soweit der Plan.

 

Was machbar scheint, scheitert an einem einfachen Problem: Die sprachlichen Eigenheiten der einzelnen Bereiche. Aufgrund der unterschiedlichen Materialien und Endprodukte wird mit jeweils eigenen Bezeichnungen für ähnliche Fragestellungen gearbeitet. So werden strukturell vergleichbare Lösungen im Zusammenhang mit Verbundwerkstoffen einmal unter dem Gesichtspunkt der Dauerbelastung von Flugzeughüllen beschrieben, ein anderes Mal unter Bruchvermeidung bei der Montage von Verbundglas in der Auto-Industrie.

Diese Gemeinsamkeiten lassen sich mit herkömmlicher Suchtechnologie nicht aufdecken. Im Rahmen von IT-Lösungen wird dadurch der teure Einsatz von Künstlicher Intellligenz (AI) oder aufwendigen semantischen Netzen erforderlich. Wahrscheinlich wäre es viel einfacher, wenn ein Wissensmanager die einzelnen Abteilungen und Experten zielorientiert zusammenbringt. Es ist also wenig sinnvoll, verschiedene IT-Systeme losgelöst vom Problemumfeld zu betrachten. Selbst gut gewählte IT-Anwendungen sind kein Garant für den Erfolg der Lösung. Sie können wirkungslos verpuffen (und tun dies in der Praxis allzu oft), wenn sie nicht auch zur Kultur des Unternehmen und seinen Mitarbeitern passen.

Die Köpfe zusammenstecken, nicht die Computer

Der Projektierungsansatz IT-Strategy-Balancing soll die angesprochenen Probleme im Vorfeld lösen und sie somit gar nicht erst entstehen lassen. Das Vorgehen ist im Kern denkbar einfach - was nicht automatisch auch leicht bedeutet -, hat aber tiefe Auswirkungen auf den gesamten weiteren Prozess.

Am Anfang steht ein Gespräch mit dem oder den Prozeßeignern. Hier werden Ziele, vorhandene Prozesse, mögliche Widerstände, kulturelle Elemente usw. im Sinne des Entscheidungsträgers untersucht und herausgearbeitet. Mittels eines speziell entwickelten Moderationsverfahrens werden die Gesprächsergebnisse in einem Tagesseminar mit den weiteren Prozessbeteiligten vertieft und präzisiert. Ahnlich wie in Coaching-Prozessen werden hierbei die verschiedenen Sichtweisen in den Anforderungskatalog integriert. Dadurch können die Auswirkungen des Projektes in den unterschiedlichsten Bereichen berücksichtigt werden. So schlägt sich die Strategie des Unternehmens, aber auch die vorhandene Struktur gesamtheitlich im Maßnahmenplan nieder.

Erst nach der klaren Ausarbeitung der Ziele und Auswirkungen, und das ist der entscheidende Punkt, wird der IT-Dienstleister mit den Anforderungen an den technischen Teil der Lösung gebrieft. Dieser kann nun wesentlich stimmiger vorhandene oder zu entwickelnde Technologien in die Gesamtmaßnahme einbringen. Die IT wird wiederum unterstützt, um Auswirkungen, Grenzen und Möglichkeiten der Anwendungen für die Fachabteilungen begreiflich zu machen.

Vorbereitung, die sich auszahlt

Derlei Rahmenbedingungen gilt es, vorab zu evaluieren. Soll die Effektivität gesteigert werden, müssen vor Beginn der Maßnahme die verschiedenen Wechselwirkungen auf die Strategie, die Struktur des Unternehmens und die Kommunikationsprozesse beachtet werden. Im Idealfall fließen alle erdenklichen Elemente und Faktoren bereits in der Planungsphase in das Projekt ein. Selbstverständlich erhöht das den Aufwand für diese Phase, verglichen mit technisch fokussierten Prozeduren. Aber wenn sich die entsprechenden Verantwortlichen dazu nicht an einen Tisch setzen, wird das Projekt schlicht scheitern oder in der Betriebsphase zu Mehrbelastungen führen, die seine praktische Umsetzung gefährden.

In der Konsequenz behalten die Entscheider die Einflusshoheit über ihre Prozesse auch bei einem hohen Grad der IT-Beteiligung. Dies wird dadurch erreicht, dass sie die Prozesse aus Ihrer Sicht vordefinieren und begleiten.

 

Weitere Vorteile des IT-Strategy-Balancing liegen auf der Hand. Die eingesetzte IT-Anwendung ist optimal auf den Bedarf abgestimmt, kann im Unternehmen einfacher und schneller eingeführt werden und wird die mit ihr verbundenen Ziele wesentlich besser erfüllen. Das Risiko, das die Anwendung mangels Akzeptanz scheitert, wird wesentlich geringer. Der Bedarf an Arbeits- und Einarbeitszeit wird gemindert oder entfällt ganz. Das spart an vielen Stellen Kosten.

Fazit:

Das IT-Strategy-Balancing erfasst typische Probleme des Wissensmanagements an der Wurzel. Anstatt der zahlreichen Insellösungen, egal ob im Ansatz technologisch, organisatorisch oder menschlich, werden mögliche Lösungen und Technologien bereits zu Beginn hinsichtlich ihres Beitrages untersucht und integriert.

Die Integrationsleistung berücksichtigt dabei implizit und explizit die strategischen und strukturellen Vorgaben des Unternehmens, aber auch den einzelnen Mitarbeiter, und kann so die Effektivität nachhaltig verbessern.

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