2004/3 | Fachbeitrag | Blended Learning

Gut vorbereitet für die Arbeitsschutzpraxis

von Thomas Flum

Von Thomas Flum

 

Inhaltsübersicht:

 

 

Die Novellierung des Arbeitsschutzrechtes auf EU- und

nationaler Ebene sowie Veränderungen in der Arbeitswelt erfordern in Deutschland

einen Paradigmenwechsel beim Umgang mit dem Arbeitsschutz: weg von starren Vorschriften,

hin zu präventiver Gefahrenabwehr. Mit dieser Neuausrichtung des Arbeitsschutzes

sind Herausforderungen an die Ausbildung verbunden, die mit herkömmlichen

Bildungsmethoden kaum zu meistern sind. Der Hauptverband der Berufsgenossenschaften

(HVBG) hat sich deshalb für ein Blended-Learning-Konzept bei der Ausbildung

der Fachkräfte für Arbeitssicherheit entschieden.

 

Hohe Ansprüche an Beraterfähigkeiten

 

Hintergrund der neuen Philosophie beim Arbeitsrecht sind die veränderten

Strukturen in einer globalisierten Wirtschaftswelt, wie Gerhard Strothotte,

Projektleiter Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit beim HVBG,

erläutert: "Die deutsche Wirtschaft hat sich in den vergangenen 30

Jahren stark gewandelt. Immer mehr Arbeitsinseln, autark agierende Arbeitsgruppen

insbesondere der mittlerweile starken Dienstleistungsbranche realisieren ihre

Projekte inzwischen in Eigenregie. Diese Arbeitsweise hat das Drop-down-Prinzip

über strenge Hierarchien zunehmend abgelöst. Daraus ergeben sich auch

Konsequenzen für den Arbeitsschutz".

 

 

 

Entsprechend hat der Gesetzgeber auf europäischer und nationaler Ebene

gehandelt und neue Regelwerke in Kraft gesetzt. Kontrollierten die Fachkräfte

für Arbeitssicherheit früher meist die Einhaltung eines strikten Regelwerkes,

das bei einem Unfall überprüft und dessen Ursache gegebenenfalls beseitigt

wurde, sollen sie heute verstärkt präventiv und beraterisch tätig

werden. "Gefahrenanalyse und Gefahrenabwehr stehen inzwischen im Mittelpunkt",

betont Strothotte. "Das bedeutet einen viel höheren Anspruch an die

Fähigkeiten der Fachkraft für Arbeitssicherheit."

 

 

Die Fachkräfte müssen nun:

  • die methodische Kompetenz mitbringen, mit der sie Arbeitsprozesse analysieren und sich in das Unternehmen hineindenken können
  • beraterische Kompetenz haben, mit der sie das Management der Unternehmen von den notwendigen vorbeugenden Maßnahmen für den Arbeitsschutz überzeugen (das schließt z.B. auch die gekonnte Präsentation eines Themas ein)
  • soziale Kompetenz beweisen, denn nur so gelingt es, präventive Maßnahmen mit der Unternehmensleitung zu verhandeln und das Thema Arbeitssicherheit im Prozessmanagement der Unternehmen nachhaltig zu verankern

Komplexes Lernsystem garantiert Praxisnähe

 

Von diesen neuen Anforderungen ausgehend hat der HVBG ein umfangreiches und

anspruchsvolles Lernprogramm aufgelegt. Es wurde gemeinsam mit der digital spirit

GmbH, einem Unternehmen des niederländischen Medien- und Informationskonzerns

Wolters Kluwer mit Hauptsitz in Berlin, realisiert. Der Projektpartner verfügt

über ein ausgeprägtes didaktisches und inhaltliches Verständnis

von Lernkonzepten, die verschiedene Medien miteinander verknüpfen.

 

 

 

Die klassischen Präsenzschulungen werden nun durch individuelle, webbasierte

Selbstlernmodule ergänzt und unterstützt. "Nur so konnten wir

das erforderliche Know-how für beraterische Fähigkeiten und Präsentationstechniken

vermitteln. Schließlich geht es um das aktive Anwenden einer gelernten

Methode. Mit Paragrafen alleine erfüllt die heutige Fachkraft für

Arbeitssicherheit nicht mehr die gesetzlichen Bestimmungen", weiß

Gerhard Strothotte.

 

 

Grundlegende Fakten, wie z.B. Gefahrenquellen für Unfälle durch mechanische

Faktoren oder die menschliche Psyche, werden sowohl in Präsenzschulungen

als auch in Selbstlernmodulen vermittelt. Gleichzeitig vertiefen die Kursteilnehmer

in den Selbstlernphasen anhand praktischer Beispiele die in den Präsenzschulungen

vermittelten analytischen Fähigkeiten. Hierzu dienen Selbstlernmodule am

PC, die überwiegend als interaktive Tutorials gestaltet sind. Die Selbstlernphasen

2 und 3 enthalten neben den Tutorials jeweils eine komplexe explorative Lerneinheit.

"In den explorativen Einheiten soll der Lerner seine Kenntnisse zur Arbeitssystemgestaltung

anwenden", erklärt Helmut Vigneron, Projektleiter bei digital spirit.

"Dazu sind im Lernsystem realitätsnahe Szenarien mit anspruchsvollen

Aufgabenstellungen abgebildet: zum Beispiel die Putzerei eines Gießereibetriebs

umgestalten oder die Auftragsabwicklung eines mittelständischen Unternehmens

reorganisieren. Beim Lösen der komplexen Aufgabe kann sich der Lerner im

System mehr oder weniger frei bewegen. Es protokolliert in einem Handlungs-

und Entscheidungsmodell das Vorgehen des Lerners, analysiert die Qualität

der Vorgehensweise und der Ergebnisse und liefert dem Lerner ein detailliertes

Feedback."

 

 

 

Dieses in Präsenz- und Selbstlernphasen angeeignete Wissen muss der Lerner

in einem anschließenden Praktikum an einem konkreten Fall anwenden. Hinterher

muss er sein Ergebnis vor einer Prüfungskommission präsentieren. "Die

HVBG-Ausbildung ist heute ein komplexes Lernsystem, das die verschiedenen Lernformen

und Medien – klassische Schulung, Selbstlernphase in Verbindung mit Online-Medien

und Anwendung in der Praxis – zu einem schlüssigen Ganzen verquickt",

resümiert Gerhard Strothotte.

 

Flexibel und wirtschaftlich

 

Die E-Learning-Module bereiten den Lerner nicht nur auf die komplexe und praktische

Herangehensweise an das Thema Arbeitsschutz vor. Sie lassen sich zudem beliebig

oft wiederholen, was ein individuelles, selbstbestimmtes Lernen ermöglicht.

Aus Sicht des HVBG ergibt sich noch ein weiterer Mehrwert durch die erhöhte

Wirtschaftlichkeit: "Ohne E-Learning wären wir auch aufgrund der größeren

Stoffmenge zeitlich aus unserem Rahmen von sechs Wochen gelaufen. Schließlich

schulen wir viele Mitarbeiter, die in ihrem Unternehmen die Funktion der Fachkraft

für Arbeitssicherheit ausfüllen. Das bedeutet für den Arbeitgeber

natürlich Kosten, die wir begrenzen wollen."

 

 

 

In Deutschland sind derzeit ca. 100.000 Fachkräfte für Arbeitssicherheit

im Einsatz. 3.000 bis 4.000 besuchen jedes Jahr die HVBG-Schulungen, die zum

großen Teil in den Schulungsstätten der Berufsgenossenschaften stattfinden.

Den kleineren Teil veranstalten freie Bildungsträger, wo sich beispielsweise

auch Arbeitslose fortbilden, um potenziellen Arbeitgebern eine Zusatzqualifikation

anbieten zu können. Wie auch Andreas Albrecht. Der 43-jährige Hochbaupolier

aus Berlin nutzt die Zeit der neuen Jobsuche, um sich weiter zu qualifizieren:

"Diese moderne Lernmethode hat mir sehr geholfen. Schwachpunkte werden

in den Selbstlernphasen am PC sehr schnell aufgedeckt, ich habe dann noch einmal

wiederholt. Andere Lerneinheiten konnte ich überspringen".

 

 

Der HVBG sieht sich bestätigt, mit der Blended-Learning-Lösung den

richtigen didaktischen Ansatz für den auf Prävention setzenden Arbeitsschutz

gefunden zu haben, um den heutigen Anforderungen an sehr individuelle Arbeitswelten

gerecht zu werden. "Denn letztlich", so Gerhard Strothotte, "geht

es dem HVBG nicht um die Einhaltung von Regeln, sondern um den Schutz von Menschen."

 

 

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