2016/10 | Fachbeitrag | Leadership 2.0

Führungskräfteweiterbildung bei adesso: Und wie führst du dein Team?

von Annika Stille, Kristina Gerwert

Inhaltsübersicht:

Auf Augenhöhe an Führungsthemen aus der Praxis arbeiten – mit diesem Fokus fanden sich bisher zweimal jährlich die mittlerweile über 90 Führungskräfte, von Teamleitern bis hin zum Vorstand, in fünf nach Führungserfahrung strukturierten Peergroups zusammen. Unter Begleitung eines externen Moderatos wurden unter anderem Leitlinien für die adesso-Führungskultur erarbeitet, in dem eine Peergroup sieben Führungsgrundsätze ausarbeitete, die seit nunmehr zwei Jahren Maßstab für das Handeln jeder Führungskraft bei adesso sind.

Peergroups: Aktiver Austausch unter FührungskräftenKollegialer Austausch statt moderiertem Wissenstransfer

Ein Kernziel der Peergroups war es, einen stabilen Kreis von Führungskräften zu etablieren, die sich aufgrund vergleichbarer Positionen verstehen, vertrauen und offen über akute Themen sprechen. Die Peergroups waren ein Forum, in dem die Teilnehmer aktuelle Themen, Ideen und anstehende Entscheidungen durch Anregungen und unterschiedliche Erfahrungen der anderen Mitglieder diskutieren konnten. Bei gemeinsamen Veranstaltungen sorgte ein externer Moderator für den freien und offenen Umgang mit allen Themen auf der Agenda.

Die genaue Planung der Inhalte erfolgte nach dem Feedback der Führungskräfte, auf Grundlage der Führungsgrundsätze, den Anforderungen der übergeordneten Führungskräfte und den Bedürfnissen der Teilnehmer. Die Veranstaltung lieferte somit fachlichen und methodischen Input, ließ aber Raum für eine moderierte Diskussion und den Erfahrungsaustausch der Führungskräfte untereinander. Beim jeweils nächsten Treffen bearbeiteten die Teilnehmer Erfolge, Misserfolge und Lessons Learned der umgesetzten und diskutierten Themen.

Neue Rahmenbedingungen erfordern neue Kommunikationsformate

Seit 2012 ist adesso stark gewachsen, die Mitarbeiterzahl erhöhte sich von 575 Anfang 2012 auf knapp 2.000 Mitarbeiter (Stand September 2016). Mit der wachsenden Organisationsstruktur geht einher, dass das vorab dargestellte Format der Peergroup-Arbeit nicht mehr zu den Bedürfnissen der Führungsmannschaft passte. Dies wurde durch sinkende Teilnehmerzahlen und das Feedback zu den Veranstaltungen deutlich. Was sind die Gründe dafür? Hatten sich die Ziele der Peergroup-Arbeit verschoben oder haben sich die Anforderungen geändert?

Kollegialer Austausch statt moderiertem Wissenstransfer

In einem Workshop zur Umgestaltung der Peergroup-Arbeit zeigte sich, dass die Teilnehmer den größten Nutzen aus der kollegialen Beratung untereinander ziehen. Der Input zu Führungsthemen von externen Moderatoren war von den Teilnehmer gar nicht zwingend gewünscht. Die Führungskräfte wollen miteinander arbeiten, voneinander lernen und unternehmensinterne Entwicklungen diskutieren.

Ratschläge von Kollegen auf Augenhöhe zu bestimmten, kritischen Führungssituationen oder Fragen wie zum Beispiel „Wie geht mein Kollege am Standort Stuttgart in problembelastete Jahresgespräche? Hat er einen Tipp für mich?“ sind typische Fragestellungen der Teilnehmer. Zusätzlich zur kollegialen Beratung kristallisierte sich bei den Teilnehmern der Austausch zu fachlichen Themen untereinander als wichtig heraus: Wie arbeitet der Lottery-Bereich mit dem Projektwerkzeug Interaction Room? Gibt es interessante Lessons Learned, welche die Kollegen des Versicherungsbereiches für sich nutzen können?

Open Space: Ein Marktplatz der Themen und Ideen

Diese Fragestellungen kamen im vorherigen Peergroup-Format zu kurz. Die Verantwortlichen freuen sich, im Herbst 2016 das neue Format erstmalig durchführen zu können. Ein halber Tag findet im so genannten Open-Space-Format auf einem thematischen Marktplatz statt. Jeder Teilnehmer, außer der Themengeber, kann von Thema zu Thema wechseln und dort mitdiskutieren, wo er Input und Anregungen erfahren möchte. Die andere Hälfte des Tages ist für individuelle Situationen vorgesehen. Im Rahmen der kollegialen Beratung beraten sich die Kollegen in vertrauten Kreisen nach einer fest vorgegebenen Methode zu ihren ganz persönlichen Praxisfällen. Künftig sind halbjährige Treffen geplant.

Welche Erkenntnisse hat die Personalabteilung aus der Umgestaltung der Peergroup-Arbeit gezogen? Um ein Weiterbildungsformat wie die Peergroup-Arbeit zu etablieren, hat sich das direkte Einbeziehen der Teilnehmer in die Konzeptionierung als äußerst sinnvoll erwiesen. Die teilnehmenden Führungskräfte bringen zwar unterschiedliche Führungserfahrung mit, formulierten jedoch recht einheitliche Erwartungen an die Peergroup-Arbeit. Besonders auffällig war, dass die teilnehmenden Führungskräfte keinen Bedarf an fachlichen Vorträgen von externen Moderatoren hatten. Der Wunsch zur Weiterentwicklung der eigenen Führungskompetenz besteht bei den Teilnehmern trotzdem. Den gewünschten Aha-Effekt erhoffen sich die Teilnehmer vom voneinander Lernen auf Augenhöhe und nicht vom klassischen Frontalunterricht. In der kollegialen Beratung geht es um schließlich um persönliche Praxisfälle und somit um Knackpunkte, die der Führungskraft im Alltag Schwierigkeiten bereiten.

Lernen kann in diesem Format nur derjenige, der sich die eigenen Entwicklungspunkte eingesteht und bereit ist, Ratschläge anderer anzunehmen. Das kann nur in einer offenen Führungskultur funktionieren, die flache Hierarchien und gegenseitige Wertschätzung nicht nur vorgibt, sondern auch lebt, ohne vertrauensvolle Lernatmosphäre funktioniert kollegiale Beratung nicht. Und wenn der Bedarf umfangreicher ist als die Tipps, die eine kollegiale Beratung leisten kann, können sich die Führungskräfte vertraulich zu ihrem ganz persönlichen Entwicklungspunkt coachen lassen – sowohl intern als auch extern.

Fazit

Die Teilnehmer erleben das Lernen in der Peergroup als wirkungsvoll. Die Diskussion eigener Praxisfälle ist im vertrauten Kreis kein trockener Austausch von Faktenwissen. Es „menschelt“ viel mehr als bei einer theoretischen Wissensvermittlung, Emotionen kommen ins Spiel. Führungskräfte erleben sich und ihre Kollegen als vertraute Gruppe. Es entsteht eine Atmosphäre von Miteinander und Hilfsbereitschaft. Emotionen, Langzeitgedächtnis und Lernen haben in der Hirnforschung einen bemerkenswerten Zusammenhang – wird der Lernende nicht emotional angesprochen, gerät das Gelernte schnell in Vergessenheit. Wissenschaftler gehen sogar so weit zu behaupten, dass ohne emotionales Lernen, d.h. ohne die Aneignung „innerer Erfahrungen“, Lernen nicht wirklich gelingen kann. Auch im Rückblick auf die eigene Schul- oder Studienzeit sind oft die Themen noch besonders präsent, die mit emotionalen Erlebnissen behaftet sind. Damit Inhalte im Langzeitgedächtnis verankert werden, müssen sie mit möglichst vielen unterschiedlichen Erlebnissen verbunden werden. Dazu soll Neues unter verschiedenen Betrachtungsweisen und in unterschiedlichen Situationen erlernt werden. Und genau diese emotionale Komponente macht die Peergroup-Arbeit so effektiv und nachhaltig.

Zwar begleiten externe Moderatoren die Peergroup-Arbeit weiterhin. Sie geben aber nur dort Input, wo es die Gruppe benötigt, zum Beispiel da, wo eine Coaching-Methode helfen kann, dem unmotivierten Mitarbeiter als Führungskraft neue Motivation zu verleihen oder wo spezielle Gesprächstechniken kritische Mitarbeitergespräche einfacher machen.

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