2000/3 | Fachbeitrag | Dokumentenmanagement-Projekte

Die harten und weichen Erfolgsfaktoren bei der Systemeinführung

von Harald Klingelhöller

 

Von

Harald Klingelhöller

 

Inhaltsübersicht:

 

 

Die Jahr-2000-Probleme

gehören der Vergangenheit an, die kaufmännischen Systeme

sind auf den Euro umgestellt und die Gedanken sind frei für

das Thema Dokumentenmanagement. Nach einer Umfrage der Gartner Group

aus dem vergangenen Jahr steht Dokumentenmanagement auf Platz drei

der Wunschliste vieler Unternehmen.

 

 

Grund genug

also, sich vor dem Start eines Dokumentenmanagement-Projektes Gedanken

zu machen über die Faktoren, die einem solchen Projekt zum

Erfolg verhelfen, und jene, die es zum Scheitern verurteilen können.

 

 

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Häufige Fehler

 

 

 

Einer

der häufigsten Fehler besteht darin, ein Dokumentenmanagement-Projekt

unter einem ausschließlich technischen Aspekt anzugehen und

die irrige Annahme zu verfolgen, mit dem Kauf eines Dokumentenmanagement-Systems

(DMS) sei das Thema erledigt. Hierbei wird oft übersehen, dass

primär strategische Fragen geklärt sein müssen, um

ein DMS-Projekt zu starten. Etwa die Frage, ob eine zentrale oder

verteilte Daten- und/oder Dokumentenhaltung angestrebt wird oder

welche Art von Datenbank für eine strukturierte oder unstrukturierte

Ablage der Dokumente sinnvoll ist. Eine spätere Korrektur ist

oftmals nicht mehr möglich, wie z.B. der Wechsel von einer

Volltext- auf eine SQL-Datenbank, oder es entstehen unverhältnismäßig

hohe Kosten, wie z.B. bei der Konvertierung von einer Dokumentenmanagement-Software

in eine andere.

 

 

Auch

die Frage der Integration bestehender Systeme in das zukünftige

Dokumentenmanagement-System muss frühzeitig erörtert werden,

um nicht in ein Produkt zu investieren, das die benötigten

Schnittstellen nicht oder nur unzureichend zur Verfügung stellt.

 

 

 

Nicht

zu vergessen sind aber vor allem die organisatorischen Aspekte:

Abläufe und Prozesse müssen definiert sein, bevor man

über Technik oder gar Produkte diskutiert. Selbst bei Kernprozessen

im Unternehmen kann ein Return on Investment nicht gewährleistet

werden, wenn zuvor nicht geklärt wurde, ob es sich um einen

situativen oder automatisierbaren Prozess handelt.

 

 

Der

Weg, ein Dokumentenmanagement-Projekt über einen Produktkauf

zu starten, bedeutet also das Pferd von hinten aufzuzäumen.

 

 

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Klassifikation von Geschäftsprozessen

 

 

 

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Informationen sammeln

 

 

Wie

geht man also ein Dokumentenmanagement-Projekt mit möglichst

geringem Risiko an?

 

 

Zu

Beginn wird die Beschaffung von Informationen im Vordergrund stehen.

Hier sind zunächst die Prospekte der Hersteller hilfreich.

Wenn Sie dann tiefer in die Materie eingedrungen sind, folgt das

Studium produktneutraler Quellen. Hierzu gehören die Veröffentlichungen

der Verbände und andere produktneutrale Informationen, die

Sie am einfachsten im WWW finden.

 

 

 

Sind

die Informationen dann soweit zusammengetragen, dass Sie mit Begriffen

wie COLD, Cache oder Rendering vertraut sind, haben Sie sicherlich

festgestellt, dass die Produkte sehr ähnliche Bildschirmmasken

haben, es aber dennoch kleine Unterschiede zwischen den angebotenen

Produkten gibt. Doch inwieweit wirken sich diese kleinen Unterschiede

auf Ihr Projekt aus?

 

 

Sie

sind auf dem langen und oftmals steinigen Weg eines DMS-Projektes

an einem sehr wichtigen Punkt angekommen: Nun haben Sie das Wissen

und das Handwerkszeug, um einem Dritten die eigenen Bedürfnisse

und Anforderungen zu erklären.

 

 

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Ein Workshop zur Bedürfnis- und

Zieldefinition

 

 

Der

nächste Schritt sollte ein Workshop mit einem externen DMS-Spezialisten

sein. Investieren Sie ein bis zwei Tage in einen Berater mit langjähriger

Erfahrung, der Ihnen beispielsweise sofort sagen kann, warum der

Start Ihres Dokumentenmanagement-Projektes im Personalbereich weniger

Chancen hat als etwa ein Pilot-Projekt in der Debitoren-Buchhaltung.

Diese Erfahrung können Sie nicht haben; es ist also sehr sinnvoll,

sich diesen Rat einzukaufen, denn hier werden frühzeitig Weichen

gestellt, die über Erfolg und Misserfolg eines DMS-Projektes

entscheiden.

 

 

 

Ziel

dieses Workshops ist eine horizontale Betrachtung des Unternehmens.

Mit Vertretern aller Bereiche soll eine grobe Zieldefinition erarbeitet

werden. Der DMS-Spezialist hat dabei die Aufgabe, die vorgebrachten

Wünsche und Ziele zu kategorisieren und ein Gesamtmodell zu

erstellen.

 

 

 

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Die Module zur Systemeinführung

 

 

 

 

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Die Machbarkeitsstudie

 

 

Aus

den Ergebnissen des Workshops haben Sie mehr Klarheit über

den Startpunkt gewonnen. Im nächsten Schritt ist zu klären,

ob das Projekt mit den vorhandenen Mitteln, Ressourcen und Zeitplänen

vereinbar ist. Hierzu dient die Machbarkeitsstudie, die den Startpunkt

mit einem Projektbudget für einen Projektantrag verbinden soll.

Um diesen jedoch formulieren zu können, muss Klarheit über

Projektziel, umfang und finanzierung herrschen. Die Machbarkeitsstudie

gibt genau hierüber Aufschluss. Sie nimmt nur wenige Tage in

Anspruch und sollte von einem externen Berater im Wechselspiel mit

den eigenen Entscheidern erstellt werden.

 

 

 

Eine

Machbarkeitsstudie ist Know-how-intensiv und bedarf langjähriger

Erfahrung. Ziel dieser Studie ist es, den Umfang des Gesamtprojektes

unternehmensweit zu klären. Ein Zeitplan mit Stufenkonzept

über die einzelnen Projektschritte sollte enthalten sein sowie

ein Ressourcenplan für interne und externe Mitarbeiter.

 

 

Selbstverständlich

darf eine Kostenabschätzung für die Erstinvestition inklusive

des Piloten sowie eine Abschätzung der Gesamtinvestition zur

Erstellung des Budgets nicht fehlen. Achten Sie auch darauf, dass

die Betriebskosten nicht unberücksichtigt bleiben.

 

 

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Das

Grobpflichtenheft

 

 

Das

anschließend zu erstellende Grobpflichtenheft hat zum Ziel,

eine Produktauswahl zu treffen. Es muss sowohl strategische Argumente

als auch konkrete Bedürfnisse für die Pilot-Installation

berücksichtigen. Das Grobpflichtenheft gliedert sich in eine

Analyse der momentan gegebenen Situation und in eine optimierte

Konzeption des zukünftigen Dokumentenmanagement-Systems.

 

 

Hier

fließen strategische, organisatorische und erstmals auch technische

Argumente zu einer Einheit zusammen. Die hieraus resultierende Dokumentation

dient dann als Grundlage einer Ausschreibung.

 

 

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Die Produktentscheidung

 

 

Die

Produktentscheidung beginnt mit der Auswertung der Rückläufer

aus der Ausschreibung. Anhand eines unternehmensspezifisch festzulegenden

Kriterienkataloges werden die Ausschreibungen ausgewertet, um mit

einer kleinen Anzahl von Anbietern die Gespräche fortzusetzen.

 

 

Wir

haben es in unserer langjährigen Tätigkeit dabei immer

als sehr hilfreich empfunden, sich die Systeme im Echtbetrieb anzusehen.

Einerseits dient dies zur Überprüfung der Referenzangaben,

andererseits gewinnt man auch die eine oder andere Anregung für

das eigene Projekt.

 

 

 

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Das Feinpflichtenheft

 

 

Das

Feinpflichtenheft konkretisiert das Soll-Konzept des Grobpflichtenheftes.

Es setzt die Produktentscheidung voraus, denn der Beratungspartner

muss den Leistungsumfang des ausgewählten Produktes zugrunde

legen, um nun die optimale Lösung für den Kunden zu schaffen.

 

 

Das

Feinpflichtenheft ist beschreibender Bestandteil der vertraglich

festgelegten Leistungen des Integrators. Sie sollten also zu diesem

Zeitpunkt bereits Klarheit über die Umsetzung haben. Dabei

gibt es zwei Möglichkeiten: Wenn Sie sich im Vorfeld für

Workshop, Machbarkeitsstudie, Grobpflichtenheft und für einen

Partner mit Umsetzungsberatungs-Konzept entschieden haben, sind

Sie in der komfortablen Lage, die Prozesse und Abläufe nicht

einem neuen Partner erklären zu müssen. Das Projekt läuft

zügig weiter. Kommt hingegen ein neuer Partner zum Zuge, haben

Sie ein klassisches Problem des Know-how-Überganges.

 

 

 

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Die Wahl des richtigen Partners

 

 

Die

Wahl des Partners will gut überlegt sein, denn Sie bewegen

sich in Ihrer Entscheidung zwischen zwei extremen Punkten: Vor der

Produktentscheidung benötigen Sie einen Partner, der unabhängig

von Produkten und Herstellern die beste Lösung für Ihr

Unternehmen auswählt, danach aber einen Partner, der sich besonders

gut mit dem gewählten Produkt auskennt. Beratungsunternehmen,

die “nur” Gutachtensberatung bieten, sind also ebenso

kritisch zu betrachten wie Hersteller, die Pflichtenhefte mit anbieten.

 

 

 

Genau

hierin liegt die Stärke von Unternehmen, die Umsetzungsberatung

leisten: Sie können unabhängig beraten und gemeinsam mit

dem Kunden die beste Lösung realisieren.

 

 

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Risiken und Investitionsschutz

 

 

Vielleicht

sagen Sie jetzt: “Alles viel zu überzogen, wir fangen

erst einmal an”. Doch bedenken Sie, dass eine Machbarkeitsstudie

ca. 10% des Investitionsvolumens ausmacht, während ein Reengineering

eines bestehenden Systems in der Höhe der Erstinvestition liegen

würde.

 

 

 

Ist

eine DMS-Lösung erst einmal eingeführt, kann sie nicht

wie ein Textprogramm oder eine Spreadsheet-Applikation einfach wieder

ausgetauscht werden. Zu tief greift sie in die Prozesse des Unternehmens

ein, zu hoch ist der Grad der Integration.

 

 

Die

Entscheidung für ein offenes System, welches die Standards

auf allen Ebenen berücksichtigt, ist ausschlaggebend für

den Erfolg (einige Produkt-Beispiele: ODMA, ODBC, API, Faxgruppe

G4, Single Tiff).

 

 

Früher

hat man sich zugunsten eines großen Anbieters entschieden

und die Sicherheit gehabt, das Richtige getan zu haben. Dies gilt

leider nicht für den DMS-Markt. Hier entscheidet Innovation

vor Größe.

 

 

 

Auch

heute gibt es immer noch bekannte Hersteller, in deren Programmierung

16-Bit-Technologie zu finden ist, deren Produkte also nicht State

of the Art sind. Es gibt nach wie vor Produkte, deren Kommunikation

zwischen Client und Server nicht über Sicherheitsfunktionen

verfügt, wie sie z.B. RPC (Remote Procedure Call) bietet. Und

es gibt immer noch Produkte, die als ausschließliche Datenbank

eine proprietäre Datenbank einsetzen. Hinter den schönen

Benutzermasken findet sich also oftmals ein Wolf im Schafspelz.

 

 

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Die Ressourcenplanung

 

 

 

 

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Rechtliche Aspekte

 

 

Neben

den organisatorischen und technischen Aspekten gibt es auch noch

juristische Fragen, für die eine Lösung gefunden werden

muss. Am übersichtlichsten ist hierbei die Anwendung in einem

kaufmännischen Bereich. Im Handelsgesetzbuch (HGB, §§

240 ff.), in der AO 147 und vor allem in den Grundsätzen der

ordentlichen Buchführung (GoB) sind die Vorschriften zur Revisionssicherheit

klar und eindeutig geregelt. Aus diesem Grunde starten viele Unternehmen

ihr DMS-Projekt in einem kaufmännischen Bereich wie z.B. der

Debitoren- oder Kreditoren-Buchhaltung. Schwieriger sind hingegen

Anwendungen, die Bereiche des Bürgerlichen Rechtes (BGB) oder

gar des Strafrechtes (StGB) berühren. Hier herrscht immer noch

die freie richterliche Beweisführung, die auf den so genannten

Augenscheinbeweis baut. Dies bedeutet nichts anderes, als dass der

Richter entscheidet, ob er das Original-Dokument in den Händen

halten möchte oder ob er sich mit einer (elektronischen) Kopie

zufrieden gibt.

 

 

 

Ein

großer Leidensdruck ist in vielen Personalabteilungen vorzufinden,

da auch hier große Mengen von Papier verwaltet werden müssen.

Jeden Monat kommt eine Vielzahl von Dokumenten hinzu, und eine fast

unüberschaubare Anzahl unterschiedlicher Dokumentarten ist

vorhanden. Und gerade diese unterschiedlichen Dokumentarten bringen

eine Reihe von Herausforderungen mit sich, denn hinter jeder Dokumentart

stehen unterschiedliche Aufbewahrungsfristen: Während einige

Dokumente über das Ausscheiden des Mitarbeiters hinaus in unveränderlicher

Art und Weise, also revisionssicher, vorgehalten werden müssen,

müssen andere Dokumente, z.B. Abmahnungen, nach zwei Jahren

vollständig gelöscht werden.

 

 

Welches

Speichermedium setzen Sie nun ein? Eine WORM-Technologie ist zwar

revisionssicher, erlaubt aber kein Löschen der Abmahnung. Eine

MO-Technologie erlaubt zwar das Löschen der Abmahnung, ist

aber nicht revisionssicher. Ein klassischer Zielkonflikt.

 

 

 

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Der Mensch als harter Faktor im Projektplan

 

 

Bei

technikgetriebenen Projekten haben wir häufig beobachtet, dass

der Faktor Mensch ausschließlich im Projektplan und nur als

Ressource zu finden war. Es sind aber letztlich Ihre Mitarbeiter,

die mit dem einzuführenden System arbeiten müssen. Machen

Sie sich bewusst, dass Sie diesen Menschen das Papier wegnehmen

– es ist eine Revolution, die Sie hier anzetteln. Wer hier

nicht gleichzeitig eine starke Führung verbunden mit Aufklärung,

Schulung und Motivation bietet, darf sich nicht wundern, wenn die

Fachabteilungen blockieren. Das kostet Zeit und Geld. Haben Sie

diesen Posten auch in Ihrem Budget eingeplant?

 

 

 

Ungemach

droht aber auch aus einer anderen Ecke des Unternehmens: Der Betriebsrat

muss über ein solches Projekt informiert werden und darf, wenn

er möchte, auch aktiv an der Gestaltung des Dokumentenmanagement-Systems

teilnehmen. Wir können nur immer wieder auf diesen wichtigen

Punkt aufmerksam machen, denn der Betriebsrat hat gute Argumente,

ein Projekt zu stoppen, das die Bedingungen am Arbeitsplatz ändert,

wenn er nicht frühzeitig die Chance der aktiven Mitarbeit erhalten

hat.

 

 

Und

dann gibt es noch jemand im Unternehmen, den Sie zu Ihrem DMS-Kickoff-Meeting

unbedingt einladen sollten: den Datenschützer. Auch er kann

einen wertvollen Beitrag leisten – so er rechtzeitig involviert

wird.

 

 

Allein

aus diesen drei Beispielen lässt sich schon der Stellenwert

der Besetzung des Projektteams ableiten. Dabei ist es wichtig, nicht

nur auf die Vollzähligkeit aller in Frage kommenden Bereiche

zu achten, sondern insbesondere auch auf die Auswahl der einzelnen

Personen aus diesen Bereichen, denn sie sind die Fackelträger

Ihres DMS-Projektes.

 

 

 

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Was tun, wenn Projekte zu scheitern drohen?

 

 

Dokumentenmanagement-Projekte

haben die Eigenart, dass sie ganz langsam anfangen und dann immer

komplexer werden. Häufig gelangt die eigene Mannschaft schnell

an die Grenzen von Ressourcen und Know-how. Das wird in den meisten

Unternehmen auch frühzeitig erkannt. Doch der Hilferuf bleibt

aus.

 

 

Haben

Sie die Größe, frühzeitig zu sagen “Schuster

bleib bei Deinen Leisten”? Ziehen Sie aus externen Ressourcen

das nötige Spezialwissen hinzu und fürchten Sie nicht,

diesen Schritt auch dann noch zu tun, wenn bereits ein kritischer

Punkt erreicht ist. Eine “Augen-zu-und-durch”-Politik

hat fatale Folgen.

 

 

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