2004/6 | Fachbeitrag | Data Discovery

Data Dicovery: Schritt für Schritt zur optimierten Informationsstruktur

von Dr. Claudia Salazar Dorn und Gerhard Hiller

 

Inhaltsübersicht:

 

Intranet, relationale Datenbanken, File-Systeme, alte

und neue Anwendungen, Content-Management-Systeme, Unternehmensportale –

überall gilt es, Informationen abzulegen und später wieder zu nutzen.

In den Frühphasen von Wissensmanagement-Projekten stellen heterogene Informationsstrukturen

in unterschiedlichen Systemen und Datenbanken eine besondere Herausforderung

dar. Aus den Erfahrungen im Rahmen eines Projektes bei einem führenden

Unternehmen aus der Petrochemie-Branche ist der Prozess des so genannten Data

Discovery entstanden – ein Analyseverfahren, bei dem ausgefeilte Techniken

des Information Retrieval praktisch angewandt werden. Der nun formalisierte

Prozess eignet sich insbesondere, um die Daten- und Informationsbestände

eines Unternehmens auszuwerten und erforderliche Optimierungsmaßnahmen

abzuleiten.

 

 

 

 

Die Herausforderung und der Schlüssel zur Lösung

 

 

 

Im Jahr 2002 begann der Auftraggeber, eines weltweit marktführenden Unternehmens

für die Gewinnung und Veredelung von Rohöl und Erdgas, eine umfassende

Umstrukturierung. Die Einführung des neuen Geschäftsmodells hatte

das ambitionierte Ziel, die Größe des weltweit präsenten Konzerns

zum eigenen Vorteil zu nutzen: Vernetzung der konzernweiten Produktions- und

Vertriebsprozesse und Effizienzsteigerung durch optimierte Abläufe. Diese

Vorgaben stellten enorme Anforderungen an die Migration der bestehenden Daten-

und Informationssysteme. Neben der Vorbereitung einer kostenoptimierten Migration

stellte sich die Aufgabe, eine jederzeit anpassbare Taxonomie (eine hierarchische

Anordnung von Informationsthemen, die Wissensdomänen in Form von Kategorien

darstellen) zu entwickeln, die den spezifischen Wortschatz der unterschiedlichen

Arbeitsgebiete widerspiegeln sollte.

 

 

 

In diesem Rahmen wurde Data Discovery als Pilotprojekt eingeführt. Die

Analyse der vorliegenden Daten- und Informationssysteme im Fokus des neuen Geschäftsmodells

begründete das Migrationskonzept und die erforderlichen Systemschnittstellen.

Es galt, die Anwendbarkeit einer existierenden, generischen Taxonomie für

jeden Geschäftsbereich zu evaluieren und mit einer neuen Struktur zu ergänzen,

um die Bedürfnisse der einzelnen Arbeitsgebiete zu berücksichtigen.

Anschließend ging es darum, die Präzision der Suchergebnisse zu optimieren,

indem verschiedene Klassifizierungsmethoden miteinander kombiniert wurden. Die

Lessons Learned aus der schrittweisen Durchführung der Data-Discovery-Phasen

in diesem Projekt haben es ermöglicht, ein formalisiertes Verfahren als

generell anwendbaren Standardprozess abzuleiten.

 

 

 

Data Discovery – ein zielgerichtetes Analyseverfahren

 

 

 

 

Data Discovery zielt darauf ab, sich der Darstellung von nutzbaren Informationen

in heterogenen Strukturen – beschrieben durch Metadaten und Qualitätsangaben

– schrittweise anzunähern. Die daraus resultierende thematische Zusammenführung

der Ergebnisse ergibt eine präzise Darstellung der Informationsinhalte.

Die nicht mehr zeitgemäßen Merkmale bzw. die Mängel der bestehenden

Informationsstrukturen werden erkannt, notwendige Verbesserungsmaßnahmen

können priorisiert werden.

 

 

Der Prozess verläuft in einer schrittweisen Annäherung und besteht

aus fünf Hauptphasen. In der Praxis wird Data Discovery mit einer kombinierten

Nutzung von Klassifizierungstechniken und statistischen Auswertungen angewandt.

Zusätzlich werden die zwei ersten Prozessphasen mit den Techniken des Anforderungsmanagement

unterstützt.

 

 

 

 

Phase 1: Informationen identifizieren

 

 

 

Ziel dieser Phase ist es, ein besseres Verständnis für die Entstehung

und die Nutzung der verfügbaren Informationen in den einzelnen Geschäftsprozessen

zu erreichen. Die Anforderungen aller betroffenen Organisationseinheiten (der

Informationstechnologie sowie die Sicht der Endanwender der verschiedenen Abteilungen)

werden gesammelt, eine Prozessanalyse der fachlichen Abläufe wird nach

verschiedenen Wissensgesichtspunkten durchgeführt:

 

 

Welche Informationen sind für welche Geschäftsprozesse als Input

notwendig?

 

Welche speziellen Informationen werden üblicherweise bei den einzelnen

Aktivitäten benötigt/gesucht?

Welche Bedeutung hat die schnelle Verfügbarkeit von internen/externen Datenbanken,

File-Systemen oder weitere Informationsstrukturen für die einzelnen Aktivitäten

im Prozess?

Welche Informationen gelten als Output?

Wie sehen die technischen Schnittstellen aus?

 

 

 

 

Phase 2: Informationen entdecken

 

 

 

Ziel dieser Phase ist die Qualifizierung der notwendigen Optimierungsmaßnahmen.

Während dieser Phase ergänzt eine technische Informationsanalyse das

Anforderungsmanagement. Unter Anwendung von Klassifizierungstechniken des Information

Retrieval geht es darum, ein präzises Reporting auf die Metadaten zu erstellen.

Beispielsweise können Klassifizierungstechniken dafür benutzt werden,

eine Auswertung des Pflegestands der Metadaten in verschiedenen Informationsablagen

durchzuführen. Das ist eine grundlegende Aufgabe, um ältere oder uneinheitlich

gepflegte Datenbanken zu konsolidieren. Dieselben Klassifizierungstechniken

lassen sich auch zur Vorbereitung der Migration von Datenbanken nutzen. Dabei

hat es sich in der Praxis gezeigt, dass der Aufwand gegenüber herkömmlichen

Analysen in solchen Fällen um bis zu 40% reduziert werden konnte.

 

 

 

 

Phase 3: Informationen abbilden

 

 

 

In dieser Phase geht es darum, in einer schrittweisen Annäherung eine

unternehmensspezifische Taxonomie zu erarbeiten. Information Retrieval beinhaltet

weit mehr als nur Suchen und Wiederfinden – auch das Identifizieren und

Klassifizieren des geschäfts- und prozessrelevanten Wissens zur Erarbeitung

eines Klassifizierungsschemas gehören dazu. Unter einer Taxonomie versteht

man die hierarchische Anordnung von Kategorien, die Wissensdomänen entsprechen

und eine an den Geschäftsprozessen orientierte Sicht auf die Informationen

ermöglichen. Gut angewandte Klassifizierungstechniken eignen sich aber

auch bestens dazu, das Wissen eines Unternehmens auszuwerten und es für

eine bessere Nutzung zur Verfügung zu stellen.

 

 

 

Da es sich nicht um einen Navigationsersatz handeln soll, sondern um eine geschäftsprozessorientierte

Sicht auf die gesamte Informationslandschaft des Unternehmens, sind die Ergebnisse

aus der ersten Phase die beste Voraussetzung zum Aufbau einer ersten, flachen

Taxonomie. Die meisten kommerziellen Taxonomie-Lösungen auf dem Markt sind

auf die besondere Geschäftsausrichtung weniger Branchen gerichtet. Außerhalb

dieser Branchen erweisen sich solche Fertiglösungen als zu spezifisch und

daher nicht direkt auf Firmenbelange anwendbar.

 

 

Die Terminologie und die Strukturen, die entlang der Geschäftsprozesse

entstehen, sollen sich im Aufbau der Taxonomie widerspiegeln. Dazu hat sich

die Zusammenführung von prozessorientierten Methoden und Retrieval-Techniken

anstelle der Nutzung von statischen Lösungen bewährt. Daraus resultiert

ein maßgeschneidertes, aber dennoch flexibles Gebilde, das Übersicht

und Orientierung in der firmenweiten Informationslandschaft bietet und weiter

ausgebaut werden kann.

 

 

 

Phase 4: Informationen optimieren

 

 

 

 

Aus den Ergebnissen der ersten drei Phasen lässt sich eine detaillierte

und präzise Darstellung über Quantität und Qualität der

vorhandenen Informationen abbilden. Dies ergibt konkrete Hinweise, um Optimierungsmaßnahmen

zu priorisieren und anzustoßen. Die Hinweise nehmen unterschiedlichen

Ausprägungen an:

 

 

Nicht mehr aktuelle Informationen oder historisch gewachsene Versionen, die

an Wissenswert verloren haben, werden archiviert. Durch die Identifizierung

von Duplikaten werden Redundanzen beseitigt. Der tatsächliche Bedarf an

zusätzlichem Speicherplatz kann evaluiert werden.

Entscheidungen über die Pflege und Art der Anzeige von Metainformationen

können besser begründet und umgesetzt werden. Die Auswahl und Definition

der im Frontend erforderlichen Funktionalitäten wird unterstützt.

 

Der tatsächliche Bedarf an neuer Software kann bewertet werden: Muss ein

komplett neues Unternehmensportal entwickelt werden oder reicht die Einführung

eines webbasierten Dokumentenmanagement-Systems aus?

 

 

 

Phase 5: Anwender mit den passenden Informationen verbinden

 

 

 

Bis zu dieser Phase sind die Klassifizierungstechniken noch rein zu Analyse-

und Auswertungszwecken genutzt worden. Der letzte Schritt besteht nun darin,

die Informationen für die Nutzung durch die Endanwender bereitzustellen.

Der Zugriff auf die Taxonomie wird im Frontend angeboten.

 

 

Das Ausmaß und die Ausprägungen des hausinternen Know-hows werden

damit für alle Mitarbeiter sichtbar und greifbar. Der Nutzer verknüpft

das gefundene Dokument mit einer bestimmten Wissensdomäne und damit den

Autor mit seinen speziellen Kenntnissen. Die indirekte Auswirkung auf die interne

Kommunikation ist spürbar: Die Suche nach Experten im Unternehmen wird

einfacher.

 

 

 

Aus der Management-Perspektive ist die klare Darstellung der Wissensdomänen

und ihrer Inhalte mittels einer Taxonomie der Nährboden, um Business-Initiativen

neue Impulse zu geben. Anhand der Taxonomie ist eine konkrete Bewertung von

Qualität und Quantität der Informationsinhalte möglich. Damit

lassen sich die Entwicklungen einer existierenden Wissensdomäne oder die

Neuaufnahme einer zusätzlichen Domäne strategisch priorisieren und

umsetzen.

 

 

Fazit

 

 

Die Vision einer globalen, allumfassenden IT-Lösung mit noch mehr Technik,

ohne den tatsächlichen Bedarf an neuen Technologien geprüft und bewertet

zu haben, ist nicht zielführend. Vielerorts werden immer mehr neue Systeme

implementiert – mit der Folge, dass immer neue und wiederum schwer durchdringbare

Informations-Silos erzeugt werden. Das eigentliche Ziel, eine zentrale Lösung

zur besseren Nutzbarkeit der Informationen im Unternehmen zu etablieren, wird

dabei meist verfehlt.

 

 

 

Bessere Chancen ergeben sich, wenn im Vorfeld mehr investiert wird. Bevor über

die Implementierung neuer Systeme entschieden wird, sollte der Prozess der Data

Discovery zur Analyse und Klassifizierung der unternehmensweit verfügbaren

Informationen eingeführt werden. Damit schafft man die Voraussetzung zu

einer effektiveren Entscheidungsfindung und meist sogar zu einer kostengünstigeren

und wachstumsfähigen Lösung.

 

 

Die Auswirkung auf den Return on Investment eines Wissensmanagement-Projektes

ist konkret messbar. Denn über die Unterstützung der Suchmechanismen

hinaus geht es hier unter anderem auch um das Einsparen von Speicherplatz, einen

geringeren Aufwand bei Datenbankmigrationen bis hin zur optimierten Darstellung

der prozessrelevanten Themen in Form von Wissensdomänen.

 

 

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