2019/2 | Fachbeitrag | Digitale Transformation

Customer Lifetime Journey: Den Kunden seine eigene Experience kreieren lassen

von Tjeerd Brenninkmeijer

Inhaltsübersicht:

Sprachassistenten sind auf dem Vormarsch

Wer über seinen digitalen Assistenten oder sein Smart Home-Gerät eine Bestellung tätigt, bekommt anders als in einem normalen Online-Shop nicht dutzende Optionen zur Auswahl geboten. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Amazons Alexa oder Google Home zunächst nur die relevantesten Marken erwähnt und den Benutzer eine Auswahl treffen lässt. Manchmal sind dies die bestbewerteten oder meistverkauften Produkte. Die Chance ist allerdings groß, dass Amazon eine seiner eigenen Handelsmarken bevorzugt anbieten wird. Damit wächst also der Aufwand, den Unternehmen betreiben müssen, um sichtbar zu bleiben. Und damit auch die Herausforderungen.

Nach Ansicht von Experten ist die Angst vor den großen Technologieunternehmen, die mit ihren umfassenden Ökosystemen den Markt dominieren, durchaus berechtigt. Die einzig richtige Antwort darauf scheint eine hervorragende Customer Experience zu sein. Dadurch bleibt der Verbraucher mit Unternehmen und Marken verbunden und die Produkte verstauben nicht anonym im imaginären Regal. Diese Schlussfolgerung gab es auch kürzlich bei der Connect, der jährlichen User-Konferenz des Digital Experience Platform-Anbieters BloomReach. Das Zeitalter der Alleinstellungsmerkmale weicht dem "Experience-Zeitalter". Nur wer sein Angebot im Hinblick auf Zeitersparnis und zusätzlichen Komfort für den Kunden verbessert, kann sich gegenüber der Marktdominanz der Technologiegiganten behaupten.

Die Bedeutung der Customer Experience wächst weiter

Auch BloomReach-CEO Raj De Datta ist dieser Ansicht. Im Allgemeinen erwartet er, dass mit dem Einzug der Sprachassistenten die Ansprüche an eine gute Customer Experience weiter steigen werden. Unternehmen müssen das vorhandene Wissen über Kunden und seine Besonderheiten in jede Interaktion berücksichtigen und einfließen lassen, sodass er das Gefühl bekommt, mit einer ihm bekannten, vertrauten Person zu kommunizieren. Ein Kundenerlebnis ist eine Sammlung von vielen kleinen Interaktionen – beispielsweise über Social-Media-Kanäle oder die Website. Gelingt es Unternehmen, zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten fünf, zehn oder auch zwanzig positive Interaktionen aneinanderzureihen, entsteht letztendlich ein positives Markenbild.

Unternehmen können daraus eine sehr komplexe Angelegenheit machen, aber in der Regel müssen zuerst einmal die richtigen Grundlagen geschaffen werden. Häufig fehlt es Web-Shops beispielsweise an einer optimierten Online-Suchfunktion. Das heißt, dass die Website-Besucher oft nicht genau das finden, was sie zu finden wünschen – was äußerst frustrierend ist. Erst wenn diese grundlegenden Interaktionen reibungslos verlaufen, ist es sinnvoll, am nächsten Schritt zu arbeiten. Als konkretes Beispiel verweist Raj De Datta während seiner Keynote auf seinen Hotelbesuch in Amsterdam. Die Tatsache, dass die Hotelkette das Treueprogramm verwendet, um die Raumtemperatur genauso wie bei seinem letzten Besuch einzustellen, vermittelt ihm das Gefühl, willkommen zu sein. Manchmal sind es die einfachen Dinge, die das Leben leichter und angenehmer machen. Von dieser Erkenntnis können auch andere Unternehmen profitieren.

Nicht nur Käufer, sondern alle Kunden ansprechen

Doch was ist eigentlich nötig, um ein besseres Kundenerlebnis zu erzielen? Gartner-Analyst Mick MacComascaigh betont in seiner Keynote die zentrale Bedeutung von Verständnis und Einfühlungsvermögen. Beobachtete Verhaltensmuster, Kontext und Kundendaten lassen sich auf jedem erdenklichen Kanal in eine geeignete Interaktion übersetzen. Unternehmen sollten dafür alle Inhalte, Funktionalitäten und Daten, über die sie verfügen, als eine Reihe von Elementen betrachten. Diese lassen sich in Echtzeit in einer bestimmten Reihenfolge zusammenführen. Der kumulative Effekt ist das Kundenerlebnis.

Unternehmen, die in solche Technologien investieren, betrachten ihre Kunden noch immer bloß als Menschen, die etwas kaufen – was merkwürdig ist. Laut MacComascaigh ist diese Definition viel zu eng. Denn auch Verbraucher, die möglicherweise zukünftig an einem Produkt oder einer Dienstleistung interessiert sind, und sogar Kunden, die ihr Produkt nach dem Kauf wieder zurückgeben, sollten Unternehmen ansprechen. Deshalb zieht er es vor, nicht mehr von Buyer- oder Customer Journey zu sprechen. Vielmehr gelangen Unternehmen durch solche Konzepte zur Customer Lifetime Journey. Ein Unternehmen sollte den Verlauf einer Kundenbeziehung wirklich ergründen, damit es während der gesamten Customer Lifetime Journey wertvoll für den Kunden ist und um vorausschauend bereits die nächste Kundeninteraktion personalisieren zu können.

Der Fan steht an erster Stelle

Themen wie Hyper-Personalisierung, Künstliche Intelligenz und kanalübergreifendes Kommunizieren stehen auch auf der Agenda von Traditionsvereinen wie dem FC Bayern München. Denn die Technologie und die digitalen Netzwerke ändern sich konstant. Auch ein Fußballverein muss schauen, wie er neue Fans auf der ganzen Welt erreichen, faszinieren und binden kann. Der FC Bayern kommuniziert mit seinen Fans überwiegend über eigene Apps, die Website, aber auch über Social-Media-Kanäle wie YouTube, Facebook, Snapchat und Instagram. Die Fan-Interaktionen betrachtet der Verein als größtes Geschenk, denn es ist ein Feedback-Loop, durch den der Club nur lernen und sich weiterentwickeln kann. Für jeden Kanal entwickelt der FC Bayern deshalb eine eigene Content-Strategie. Denn er weiß, wie wichtig Personalisierung ist und dass auf jedem Kanal andere Fans anzutreffen sind. Zukünftig wird die Hyper-Personalisierung noch viel wichtiger werden – Benjamin Stoll, Leiter Digitale Strategie, Plattformen und Innovationen beim FC Bayern München, sieht darin eine der größten Herausforderungen, die auf Marken zukommt. Auf Basis der Daten, die der FC Bayern über Fan-Interaktionen erhebt, kann er noch besser auf die Bedürfnisse seiner Fans eingehen und Inhalte personalisieren. Welche Contents funktionieren, welche vielleicht nicht? Auch wenn Technologien wie etwa Künstliche Intelligenz immer weiter an Bedeutung gewinnen – der Verein weiß, wie wichtig der Mensch ist. Beim FC Bayern München verlässt man sich deshalb nicht nur auf Algorithmen, sondern auch weiterhin auf die Komponenten menschliche Kommunikation, Interaktion und Beziehung.

Kunden die eigene Experience kreieren lassen

Ist es überhaupt möglich, eine große Gruppe von Interessenten und (ehemaligen) Kunden richtig anzusprechen? Diese Zielgruppen sind sehr heterogen. Die einzige Möglichkeit, alle zufriedenzustellen, besteht darin, so flexibel zu sein, dass sich jeder selbst eine konsistente Experience schaffen kann. Das erklärt Kunal Chakraborty von GrandVision, in Deutschland bekannt durch das Tochterunternehmen Apollo-Optik. Als Chief Digital Officer eines internationalen Einzelhandelsunternehmens mit 30 Optiker-Ketten denkt er in Sachen Customer Journey nicht mehr in Kanälen. Bei so vielen Marken in so vielen Ländern ist das fast unmöglich. Durch umfangreiche Recherchen wurde ihm klar, dass es einen gemeinsamen Nenner gibt, unabhängig davon, wie stark sich die Kunden voneinander unterscheiden. Für Kunden spielen die Kanäle keine Rolle. Sie denken in Marken. Aus diesem Grund hat er viel Zeit damit verbracht, eine Customer Journey zu entwickeln, die das Unternehmen als Basis für alle Marken verwenden kann.

Chakraborty sieht die Customer Journey als Lego-Baukasten. Das Unternehmen kümmert sich um die Bausteine, um für jede Marke und auch den Kunden ein persönliches Erlebnis zu schaffen. Die Idee einer Dachmarken-Strategie ist nicht neu. Chakraborty selbst wurde von Volkswagen inspiriert. Alle Autos des deutschen Konzerns fahren mit der gleichen MQB-Plattform. Die verschiedenen Marken – ob Audi, Seat oder Volkswagen – sind für sich individuell, beispielsweise im Erscheinungsbild. Damit schafft sich Volkswagen einen Kern, den das Unternehmen skalieren kann, und ist trotzdem in der Lage, sich an lokale Märkte und Gegebenheiten anzupassen. In Bezug auf Brillen und Kontaktlinsen bedeutet dies, dass der eine Kunde zum Beispiel online einen Sehtest durchführen kann, während der andere sich im Geschäft ein Brillengestell aussucht. Und der nächste Besucher sucht sich etwas im Laden aus, erledigt die Bestellung jedoch online. Es hat keinen Sinn, Kunden in eine bestimmte Richtung zu drängen. Viel zielführender ist es, die Kunden ihren eigenen Weg gestalten zu lassen und sie dabei zu unterstützen.

Einführung eines Headless-Tools

Um diese Herausforderungen zu meistern, sollte jedes Unternehmen eine sogenannte Headless-Plattform als Basis nutzen. Bei einer solchen Plattform ist das Frontend von der Datenquelle getrennt und digitale Kanäle lassen sich über APIs anbinden. Durch diese Verknüpfung können Unternehmen Inhalte auf jede denkbare Schnittstelle einheitlich ausspielen. Die Auswahl kann je nach Unternehmen und Land variieren. Die einzige Voraussetzung ist, dass die ausgewählten Kanäle und Interaktionen vor Ort miteinander in Verbindung stehen. Um ein besseres Kundenerlebnis zu erreichen und gleichzeitig gegen den Wettbewerb zu bestehen, ist es laut GrandVisions Digital-Chef nicht zielführend, dass jede Fachabteilung ihren eigenen Weg geht. Zu dieser Erkenntnis sind inzwischen viele Unternehmen gelangt. Genauso wie McDonald's den Lieferservice nach Hause nicht selbst ausführt, sondern dafür mit Uber Eats kooperiert, arbeitet auch Chakraborty lieber mit Spezialisten zusammen. Das Kundenerlebnis sollte nie von der Technologieplattform vorgegeben werden. Deshalb baut die Customer Experience von GrandVision auf selbst entwickelten Microservices und denen von Partnern auf.

Eine Entwicklung, die der CEO von BloomReach, Raj De Datta, als „Demokratisierung der UX" bezeichnet. Sowohl innerhalb als auch außerhalb von Unternehmen sieht er, dass sich immer mehr Menschen mit dem Kundenerlebnis beschäftigen. Für etwas so Spezifisches wie Sprache und Spracherkennung, die man in Zeiten von Sprachassistenten und Chatbots benötigt, gestalten Spezialisten ihre Software so, dass sich diese mit anderen Lösungen vernetzen lässt. Dafür ist eine offene Plattform notwendig, die in der Lage ist, alle notwendigen Tools – etwa hinsichtlich Spracherkennung – anzubinden. Das versetzt Unternehmen in die Lage, unterschiedlichste Technologien zu verwenden und am Puls der Zeit zu bleiben. Letztlich lässt sich somit jede Kundeninteraktion verbessern.

Ein Blick in die Zukunft würde wahrscheinlich zeigen, dass ein durchschnittliches Kundenerlebnis aus einer noch größeren Anzahl digitaler Kanäle und Interaktionstypen besteht. Keine neue Schnittstelle ersetzt eine bereits vorhandene. Genauso wie es jetzt bei den Sprachassistenten der Fall ist, werden andere Touchpoints immer eine Ergänzung zu dem bereits Vorhandenen sein. Verbraucher werden Zeitpunkte finden, wann sie die neuen Touchpoints nutzen wollen. Wer laut De Datta auf die menschlichen Bedürfnisse schaut, sieht einen unstillbaren Hunger nach Konnektivität. Die einzige Möglichkeit, wie sich Unternehmen von den Tech-Giganten unterscheiden können, besteht darin, über diese Kanäle Kontakt zu (potentiellen) Kunden aufzunehmen und sie dabei konsistent sowie kanalübergreifend mit derselben Tonalität anzusprechen.

 

 

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