2000/8 | Fachbeitrag | Mikroschulungen

Betriebliche Weiterbildung im Mikro-Format

von Gabriele Vollmar

 

Von Gabriele

Vollmar

 

 

Inhaltsübersicht:

 

Von jedem

Mitarbeiter wird heute die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen erwartet.

Von den Unternehmen wird im Gegenzug die kontinuierliche Aus- und

Weiterbildung ihrer Mitarbeiter gefordert – nicht zuletzt explizit

in der ISO 9000. Doch wann genau soll diese Weiterbildung stattfinden?

Während der Arbeitszeit, wenn gerade einmal "wenig"

zu tun ist? Nach Feierabend? Am Wochenende? Computer Based Training,

Telelearning via Internet usw. ermöglichen es – zumindest

theoretisch – überall und jederzeit zu lernen.

 

 

 

Doch seien

wir einmal ehrlich: Existiert diese schöne neue Welt tatsächlich?

Wer nutzt jede kleine Verschnaufpause im oft aufreibenden Tagesgeschäft,

um mal eben fünf Minuten Business English zu machen, anstatt

sich einen Kaffee zu holen? Wer nimmt nach einem 8-, 9- oder gar

10-Stunden-Tag noch konzentriert und voller Elan an einem Internet-Seminar

über die Balanced Scorecard teil? Welcher Unternehmer kann

es sich leisten, pro Mitarbeiter einen nicht unbeträchtlichen

Prozentsatz der Arbeitszeit für die Weiterbildung zu opfern,

von den Kosten für eventuelle Referenten, Schulungsmaterialien

usw. einmal ganz abgesehen?

 

 

Als Schulungsbeauftragter

eines klein- oder mittelständischen Unternehmens steht man

sehr schnell vor diesem Dilemma der erkannten Notwendigkeit kontinuierlicher

Schulung und der fehlenden Möglichkeiten. Aus diesem Dilemma

heraus ist bei der transline Deutschland GmbH, einem global agierenden

Sprachkommunikations-Dienstleister mit Sitz in Reutlingen, das Konzept

der Mikro-Schulungen entstanden.

 

 


 

Verabreichung in kleinen Dosen

 

 

Für diese

Mikro-Schulungen gibt es genau definierte Vorgaben:

 

  • Die Dauer darf 15 Minuten nicht überschreiten.
  • Die Schulungen finden während der Arbeitszeit statt.
  • Die Teilnehmerzahl ist auf 3 beschränkt, wenn es um computer-spezifische Lerninhalte geht, ansonsten auf 8.
  • Wann immer möglich, hat die Schulung an einem Arbeitsplatz stattzufinden, bei computer-spezifischen Lerninhalten auf jeden Fall an einem PC.
  • Die Einladung zur Schulung erfolgt zeitnah, frühestens 2 Wochen vor dem Schulungstermin, in den meisten Fällen eher kurzfristiger.
  • Sprengt das Thema den zeitlichen Rahmen, können kleine Vorlesungs-Reihen initiiert werden.

 

Übersteigt

das angemeldete Interesse die vorgegebene Teilnehmerzahl, werden

sofort Ausweichtermine noch am selben oder einem der folgenden Tage

angeboten.

 

 

Außerdem

werden die Themen in unregelmäßiger Reihenfolge wieder

aufgegriffen, so dass jeder Mitarbeiter früher oder später

die Möglichkeit zur Teilnahme hat. Das nimmt von den Mitarbeitern

den Druck, möglicherweise wichtige Arbeiten unterbrechen zu

müssen, weil gerade eine Schulung stattfindet.

 

 

Allerdings

ist dieser Druck bereits durch die Kürze der Schulungen minimiert:

Mal eben zehn oder fünfzehn Minuten die Arbeit zu unterbrechen,

dürfte meistens kein allzu großes Problem darstellen.

Während bei längeren Lerneinheiten viele Teilnehmer darüber

klagten, im Grunde nicht folgen zu können, weil die Gedanken

ständig bei der Arbeit seien, die unerledigt auf dem Tisch

liegenbleibe oder bei dem Anruf, der nicht wie erwartet noch kurz

vor der Schulung gekommen ist, werden die Mikro-Schulungen von den

Teilnehmern als willkommene Abwechslung empfunden, die durch die

zwischenzeitliche intensive Konzentration auf etwas anderes die

Konzentration auf die eigentliche Arbeit sogar fördere.

 

 

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Flexibel und zeitnah

 

 

Ziel der Mikro-Schulungen

ist, diese nicht nur organisatorisch, sondern auch thematisch so

weit wie möglich in den normalen Arbeitsablauf zu integrieren.

Einen nicht unbeträchtlichen Teil der Schulungen machen die

so genannten Lessons Learned aus, also das Weitergeben von mehr

oder weniger persönlich gemachten Erfahrungen an die Kollegen.

Aus diesem Grund sind die Referenten in den meisten Fällen

die Mitarbeiter selbst, die über eine Mikro-Schulung einen

irgendwie entstandenen Wissensvorsprung mit ihren Kollegen teilen.

 

 

Ein weiterer

wichtiger Aspekt, der die Mikro-Schulungen auszeichnet und nicht

zuletzt zu der sehr großen Akzeptanz derselben beiträgt,

ist das flexible Reagieren auf die Anforderungen des Unternehmens,

hinter denen in den meisten Fällen geänderte Kundenanforderungen,

der Einsatz neuer Arbeitsmittel usw. stehen, sowie auf die Anforderungen

der Mitarbeiter.

 

 

 

Jeder Mitarbeiter

kann deshalb jederzeit formlos bei der Schulungsbeauftragten ein

Schulungsthema vorschlagen, weil er z.B. gerade erfolglos versucht

hat, den zentralen Drucker dazu zu bringen, doppelseitig auszudrucken.

Entweder er hat dieses Unterfangen mehr oder weniger entnervt aufgegeben

und hat nun selbst Schulungsbedarf oder aber er hat herausgefunden,

wie der Drucker einzustellen ist bzw. hat sich in der EDV-Abteilung

schlau gemacht und kann nun sein erworbenes Wissen selbst an andere

Mitarbeiter weitergeben – bevor der nächste fluchend vor

der widerspenstigen Maschine steht und dabei wertvolle Arbeitszeit

verlorengeht.

 

 

Eine weitere

Möglichkeit, Schulungsbedarf anzumelden bietet die interne

Informations-Datenbank transHow, in der interne Abläufe dokumentiert,

wichtige und nützliche URL-Adressen erfasst sind usw. Jeder

Beitrag in dieser Datenbank ist mit dem Button "Bitte Schulung"

versehen, so dass jeder, der einen Eintrag zu einem bestimmten Thema

liest, aber diesen entweder nicht richtig versteht oder weitergehende

Informationen wünscht, dies per Knopfdruck an die Schulungsbeauftragte

melden kann.

 

 

Auf solche

Anforderungen wird möglichst zeitnah reagiert:

 

 

  • Ein Referent – wenn möglich aus dem Kreis der Mitarbeiter – wird benannt.
  • Mögliche Termine für die Schulung(en) werden mit dem Referenten festgelegt.
  • Einladungen an die Mitarbeiter werden verschickt.
  • Falls erforderlich, werden die Teilnehmer in Gruppen eingeteilt und auf die verschiedenen Alternativtermine verteilt. (Diese Alternativtermine sollten, wenn möglich, innerhalb eines Zeitraumes von zwei Tagen liegen.)
  • Sollte zu dem Thema noch kein Eintrag in der Informations-Datenbank transHow vorliegen, erstellt der Referent nach der Schulung einen solchen Eintrag.
  • Das Schulungsthema wird vermerkt für eine eventuelle Wiederholung in der Zukunft, damit Teilnehmer Lerninhalte auffrischen können oder Nicht-Teilnehmer die Möglichkeit haben, die Schulung nachzuholen.

 

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Unverhofft und nicht allzu oft erhöht die Motivation

 

 

 

Sicher ist

es in erster Linie die Kürze der Schulungen, die dazu beiträgt,

dass die Teilnehmer kein schlechtes Gewissen wegen vermeintlich

verlorener Zeit und damit tatsächlich den Kopf frei haben,

sich auf die Lehrinhalte zu konzentrieren. Darüber hinaus lässt

sich die ausgesprochen positive Resonanz auf die Mikro-Schulungen

aber noch auf weitere organisatorische Aspekte zurückführen.

 

 

Wie oben erläutert,

wird auf Schulungsbedarf möglichst flexibel und zeitnah reagiert.

Das heißt, Themen werden zum einen angepackt, solange sie

noch heiß sind, zum anderen fühlen sich die Mitarbeiter

mit ihren Wünschen ernst genommen. Die Mikro-Schulungen werden

Teil des eigenen Instrumentariums, können vom Mitarbeiter selbst

initiiert und beeinflusst werden. Sie sind nicht Teil eines mehr

oder weniger abstrakten, größtenteils den Anforderungen

des Unternehmens gehorchenden Lehrplans. Jeder Mitarbeiter trägt

vielmehr Mitverantwortung an der Gestaltung nicht nur der eigenen,

sondern auch der kollegialen Weiterbildung.

 

 

 

Weiterhin motivationsfördernd

wirkt die unregelmäßige Durchführung der Mikro-Schulungen.

Es gibt keinen festen Schulungstag. Die Einladungen zu den Mikro-Schulungen

entstehen in den meisten Fällen, wie oben geschildert, aus

konkreten Anforderungs-Situationen heraus. Das heißt, Mikro-Schulungen

ereignen sich quasi unvorhergesehen. Sie haben dadurch immer ein

wenig den Reiz der Abwechslung, des Neuen.

 

 

Dabei ist natürlich

darauf zu achten, dass in der Tat nicht mehrere Mikro-Schulungen

pro Woche angeboten werden. Dies fordert eine zum Teil schwierige

Balance zwischen dem Anspruch des zeitnahen Reagierens und eben

der Vermeidung eines Überangebots.

 

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Drohende Beliebigkeit

 

 

 

Bei aller Flexibilität

droht eine gewisse Beliebigkeit: Weiterbildung als unverbindliches

Selbstbedienungs-Angebot. Dabei können schnell die berechtigten

Anforderungen des Unternehmens an die inhaltliche Ausrichtung der

betrieblichen Weiterbildung in den Hintergrund geraten. Um dieser

Entwicklung vorzubeugen, ist das Mikro-Schulungs-Konzept eingebettet

in einen umfassenden und auf jeden Mitarbeiter individuell abgestimmten

Schulungsplan.

 

 

Dieser individuelle

Schulungsplan führt Lehrinhalte auf, die jeder Mitarbeiter

längstens im Laufe eines Jahres abzuarbeiten hat. Dabei wird

unterschieden zwischen einer Einarbeitungsphase für neue Mitarbeiter

und einer arbeitsbegleitenden Phase. Diese arbeitsbegleitende Schulung

wiederum umfasst die Module

 

  • Vertiefung
  • Auffrischung
  • neues Wissen

 

In einer dritten

Gliederungsstufe wird dann noch unterschieden zwischen allgemeinen

Themen und bereichsspezifischen Themen.

 

vollmar picture

Das Konzept der Mikro-Schulungen erlaubt das Zusammenstellen eines individuellen Schulungsplanes.

 

Einige der

vertiefenden Inhalte sind obligatorisch, müssen also innerhalb

eines Jahres abgehandelt werden, andere – z.B. grundsätzlich

die auffrischenden Inhalte – sind optional. Zu Mikro-Schulungen,

die sich mit auffrischenden Inhalten beschäftigen, wird bereichsübergreifend

eingeladen, so dass beispielsweise auch für einen Mitarbeiter

des Projektmanagements die Möglichkeit besteht, an einer Schulung

über Kontenführung teilzunehmen.

 

 

 

Beim Zusammenstellen

des individuellen Schulungsmenüs wird berücksichtigt,

 

  • in welchem Bereich der Mitarbeiter eingesetzt ist
  • in welcher Funktion er dort tätig ist
  • welche spezifischen Aufgaben er hat und
  • welche Vorbildung er besitzt

 

Daraus entsteht

ein individuelles Schulungskonto mit einer gewissen Anzahl offener

Posten, die nach und nach geschlossen werden sollten.

 


Selbstverantwortung statt Kontrolle

 

 

Im Hintergrund

findet zwar durchaus ein Schulungs-Controlling statt, doch liegt

der individuelle Schulungsplan und seine Erfüllung in der Verantwortung

des Mitarbeiters. Deshalb auch Controlling und nicht Kontrolle –

obwohl natürlich die eigentliche Kontrolle dabei auch eine

Rolle spielt. So werden bei allen Schulungsmaßnahmen Anwesenheitslisten

geführt und die Schulungsbeauftragte überprüft regelmäßig

die noch offenen Posten auf den individuellen Schulungskonten. Bei

regelmäßigen Gesprächen der Geschäftsleitung

mit den einzelnen Mitarbeitern ist dann die daraus erkennbare Lernbereitschaft

ein Thema. Im engeren Sinne eines Controllings jedoch gibt das Schulungskonto

auch Aufschluss darüber, welche Themen in der nächsten

 

Zeit angeboten werden sollten. Dabei sind die Lehrpläne keineswegs

unveränderlich, sondern passen sich dynamisch den neuen Anforderungen

an, die z.B. durch das Einführen einer neuen Software entstehen

können.

 

 

Aber in erster

Linie trägt jeder einzelne Mitarbeiter die Verantwortung für

sein Schulungskonto und hat damit eine gewisse Holschuld, wenn vorgeschriebene

oder auch erwünschte Lehrinhalte über einen längeren

Zeitraum nicht angeboten werden. Die Beziehung zwischen Unternehmen

und Mitarbeiter ist somit eine wechselseitige mit gegenseitigen

Rechten und Pflichten, an deren Ende eine Balance stehen sollte

zwischen lehrender Organisation und lernendem Individuum auf der

einen Seite und lernender Organisation und lehrendem Individuum

auf der anderen Seite.

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