2004/6 | Fachbeitrag | E-Learning für KMU

Auch LERNET musste lernen – aktuelle Anforderungen von KMU an E-Learning-Angebote

von Lutz P. Michel, Friedrich Hagedorn, Lutz Goertz, Birgit Raithel, Anja Johanning

 

Inhaltsübersicht:

 

 

 

 

 

 

Inzwischen weiß es auch der letzte Technikanbeter:

E-Learning ist keine Killer-Applikation, genauso wenig wie E-Shopping, E-Publishing

oder irgend eine andere E-Innovation der 90er Jahre. Wer als Hersteller oder

Dienstleister im E-Learning-Markt die Zeit der allgemeinen Ernüchterung

und der damit einhergehenden Marktbereinigung überstanden hat, der hat

seine Lektion gelernt. Etwa, dass man sich in erster Linie am potenziellen Kunden

und dessen Wünschen und Möglichkeiten orientieren muss – und

nicht am technisch Machbaren. Das gilt in besonderem Maße für Angebote,

die sich an kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) richten. Hier

spielen Pragmatismus und Kundenorientierung eine besonders große Rolle.

 

 

Davon können auch die 50 Konsortialpartner des LERNET-Netzwerks

berichten, das vom Bundeswirtschaftsministerium bis Mitte 2004 mit insgesamt

15 Mio. Euro gefördert wird. Die Angebote der 11 LERNET-Projekte richten

sich ausschließlich an KMU und die öffentliche Verwaltung. Der folgende

Beitrag referiert wichtige Erkenntnisse aus den Projekten und konzentriert sich

dabei auf vier Aspekte, die weit über LERNET hinaus von Interesse sind,

zumal sie aktuelle Trends im Lernverhalten bzw. neue Entwicklungen im Bildungsmarkt

aufgreifen: Mass Costumisation, soziales Lernen, integrierte Lernlösungen

und Geschäftsmodelle für KMU.

 

 

Der Maßanzug von der Stange sollte es sein

 

Die geringe Verbreitung von E-Learning in kleinen und mittleren Unternehmen

(je nach Mitarbeiterzahl zählen zwischen 5 und max. 25 Prozent der Betriebe

zu den Anwendern) kann niemanden überraschen, der die derzeit am Markt

verfügbaren Angebote kennt. Meist handelt es sich um Standardprodukte,

die in der Regel den spezifischen Weiterbildungsinteressen der Unternehmen nicht

gerecht werden können. Große Konzerne leisten sich hier eine Doppelstrategie:

auf der einen Seite Standardprodukte für Querschnittsaufgaben – etwa

die EDV-Fortbildung oder das Sprachtraining – und auf der anderen Seite

maßgefertigte Produkte, meist in Kooperation mit einem E-Learning-Produzenten

entwickelt. Diese Option steht jedoch weder KMU noch der überwiegenden

Zahl der öffentlichen Verwaltungen zur Verfügung.

 

 

 

Wie haben die LERNET-Projekte mit ihren branchenbezogenen Angeboten dieses

Dilemma gelöst? Vor allem ging es darum, die Schere zwischen der Forderung

nach individuellen und aktualisierbaren Angeboten und dem Zwang zur kostengünstigen

Produktion zu schließen. Mass Customisation lautet das Schlüsselwort

für diesen Spagat zwischen Individualisierung und Massenproduktion.

 

 

Ein Ansatz, der in einigen LERNET-Projekten sehr intensiv verfolgt wurde, kann

als Lean Production beschrieben werden. Nachdem zunächst der Produktionsprozess

in seine zentralen Bestandteile zerlegt wurde, werden die Kosten für jeden

Arbeitsschritt und jedes Teilprodukt (etwa die Erstellung einer HTMLSeite oder

einer Flash-Animation) erfasst. Im nächsten Schritt erfolgt eine Standardisierung

der Produktionsprozesse, um eine Kostenreduktion bei gleichbleibender Qualität

zu erzielen.

 

 

Unverzichtbar für diesen Ansatz einer schlanken E-Learning-Produktion

ist die Modularisierung und Granularisierung der Lerneinheiten. Um die Wiederverwendbarkeit

von Lerninhalten sicherzustellen, ohne die eine quasi-industrielle Produktion

nicht denkbar wäre, mussten zum Teil bereits fertig produzierte E-Learning-

Kurse zerteilt und zu kleinen, austauschbaren Einheiten umgeformt werden.

 

 

 

Damit wird zugleich eine weitere wichtige Voraussetzung für eine wirtschaftliche

E-Learning-Produktion – und damit für KMU-freundliche Preise –

erfüllt: die Wiederverwertbarkeit einzelner Lernelemente. Diese Re-Use-Strategie

wird inzwischen in den meisten LERNET-Projekten verfolgt. Unverzichtbar für

ihr Gelingen ist die Orientierung an anerkannten Standards und Normen.

 

 

Einen Meilenstein auf dem Weg zu einer qualitativ hochwertigen und zugleich

kostengünstigen Produktion von E-Learning-Angeboten bildet zudem der Aufbau

einer so genannten Content-Sharing-Plattform. Erste Ergebnisse dieser noch jungen

Initiative, die auch Anbieter und Content-Produzenten außerhalb des LERNET-Netzwerks

einbezieht, waren auf der Learntec 2004 zu besichtigen.

 

Sozial und modular den Lernbedürfnissen begegnen

 

 

Ein weiteres Problem, E-Learning in KMU zu etablieren, besteht darin, dass

die Mitarbeiter mit den bisherigen Angeboten nur schwer zu motivieren sind.

Sie fühlen sich oft mit der Organisation des Lernens alleine gelassen und

können sich nur schwer mit dem vorgegebenen, meist kursförmig aufbereiteten

Lernstoff identifizieren. Das Projekt LERNET hat hierzu gezeigt: E-Learning-Angebote

für KMU sollten einen Katalog von Lerninhalten anbieten, aus dem Nutzer,

Trainer und Dozenten selbst auswählen können. Gleichzeitig benötigen

sie für Auswahl und Einsatz des richtigen Lernstoffes eine personelle Hilfestellung,

z.B. durch einen Tutor oder Bildungsberater.

 

 

Wie in Präsenzveranstaltungen ist auch in E-Learning- und Blended-Learning-Angeboten

die Persönlichkeit des Betreuers bzw. Tutors eine zentrale Komponente für

den Erfolg des Lernprozesses. Dies hat weniger mit Fachkompetenz zu tun als

vielmehr mit sozialer Kompetenz sowie dem Vertrauen, das ihm die Lerner entgegenbringen.

In den LERNET-Projekten hat sich insbesondere die zeitliche und kommunikative

Flexibilität des Tutors positiv auf die Akzeptanz von E-Learning ausgewirkt.

Überspitzt formuliert könnte man zu dem Schluss kommen: Der Tutor

ist der Kaplan des E-Learnings – er weiß immer Rat, er hat Zeit,

er kennt die Bedürfnisse.

 

 

 

Viele LERNET-Projekte haben von vornherein darauf geachtet, dass ihre Lernangebote

nicht nur im Rahmen eines vordefinierten Curriculums mit einer festen Reihenfolge

der Lerninhalte funktionieren. Sie haben die Lernelemente so gestaltet, dass

sie auch für sich alleine stehen können. Auf diese Weise eignen sich

die Lerninhalte neben dem curricularen Lernen auch zu einem Learning on demand,

z.B. für die schnelle Recherche zu einem bestimmten Thema während

der Arbeit.

 

 

Die LERNET-Projekte haben aber auch gezeigt, dass der Lernerfolg nur so gut

sein kann wie die Kommunikation unter den Teilnehmern und zu ihren Betreuern.

Ohne Kommunikation geht es nicht! Im Fall eines Kurses für eine höhere

Angestelltenposition in kommunalen Betrieben etwa stieg die Lernmotivation deutlich,

nachdem ein virtueller Klassenraum und ein außerplanmäßiger

zusätzlicher Präsenztag eingeführt wurde. Der Austausch mit anderen

Teilnehmern, z.B. in einer Lern-Community, wird zum Motor für das eigene

Lernen.

 

Vom E-Learning zur integrierten E-Solution

 

 

Netzbasierte Lernlösungen, sei es in Form einer reinen E-Learning-Anwendung

oder als Blended-Learning-Angebot, sind bereits in großer Zahl in der

betrieblichen Weiterbildung zu finden. Doch oft genug stehen Lern- und Arbeitsprozesse

unverbunden nebeneinander – ein E-Learning-Angebot wurde angeschafft,

aber nicht in den betrieblichen Alltag integriert. Entscheidend ist es daher,

E-Learning in betriebliche Innovationsstrategien einbetten zu können. Dieser

Prozess des Change Managements und der damit verbundenen Änderung der Lernkultur

muss bei vielen kleinen Unternehmen erst behutsam in Gang gesetzt werden. E-Learning

kann dabei als ein zentraler Bestandteil des Innovationsprozesses genutzt werden,

wie es zahlreiche Beispiele in Großunternehmen bereits zeigen.

 

 

Um dies auch in KMU zu erreichen, müssen den Verantwortlichen in diesen

Unternehmen gezielte Beratungs- und Informationsmöglichkeiten geboten werden.

Damit solche Angebote auch für KMU finanzierbar sind, wurden in den LERNET-Projekten

preisgünstige Lösungen entwickelt – wie etwa Avatare für

die Eingangsberatung, Evaluationstools, um die Qualität einer E-Learning-Software

zu testen, kostenlose Guided Tours und Demo-Module, Informations-Workshops sowie

teilautomatisierte E-Mail- Beratungsservices. Die – gerade in den Pilotphasen

geäußerten – Teilnehmerwünsche nach unmittelbarer Hilfe

für aktuelle Fragestellungen am Arbeitsplatz haben die Projekte aufgegriffen,

indem sie Wissensbausteine auch on demand zur Verfügung stellen.

 

 

 

Auf diese Weise decken die E-Solutions von LERNET eine große Bandbreite

von typischen Lernsituationen in KMU und Verwaltungen ab – vom umfassenden

Kursangebot über kurze Lernlektionen bis hin zum Learning on demand für

das arbeitsprozessorientierte Lernen.

 

Kooperative Geschäftsmodelle für Anbieter und Nutzer

 

Geschäftsmodell lautet seit einiger Zeit das Zauberwort des E-Learnings.

Denn spätestens seit dem Ende des IT- und E-Learning-Hypes ist deutlich

geworden, dass die besten Angebote und Projekte wenig nützen, wenn sie

nicht auch tatsächlich zu finanziell tragfähigen Bedingungen eingesetzt

werden können. In den LERNET-Projekten haben daher Fragen der Wirtschaftlichkeit

und Nachhaltigkeit, der Vermarktung und des Marketings eine immer wichtigere

Rolle gespielt. Auch wenn es das Markt- oder Geschäftsmodell des E-Learnings

als solches nicht gibt, so konnte doch eine Reihe von Erfolg versprechenden

Ansätzen entwickelt werden.

 

 

 

Das gilt etwa für eine flexible Preisgestaltung, die über variable

Abrechnungsmodelle und die baukastenartige Anpassung des Angebots an die inhaltlichen

und finanziellen Anforderungen der Kunden erreicht werden kann. Einen wichtigen

Beitrag zur differenzierten Marktöffnung leisten auch kostenlose Appetizer

im Internet, Basis-Versionen für Berufsschüler und Studenten, Premium-Angebote

für Fachleute oder Abo-Modelle für kontinuierliche Weiterbildung und

treue Kunden.

 

 

Als unverzichtbar für eine wirtschaftliche Erstellung und Bereitstellung

von E-Learning-Lösungen haben sich Allianzen von Marktpartnern erwiesen.

Diese waren im Kern bereits in der Konsortialstruktur der 11 LERNET-Projekte

angelegt. Ohne frühzeitige Kontakte mit Bildungsanbietern, strategische

Kooperationen zwischen kleinen und großen E-Learning-Produzenten und regionale

Vernetzungsstrukturen zur gemeinsamen Markterschließung sind Angebote

für KMU-Kunden nicht durchsetzbar. Gerade bei kleinen Anbietern ist eine

solche Ressourcenbündelung zentral, um die für einen Geschäftserfolg

notwendigen professionellen Marketing- und Distributionsstrukturen überhaupt

aufbauen zu können – und nicht nur als lästigen Kostenfaktor

abzutun.

 

 

 

Viele Projekte und Entwicklungen sind immer noch primär auf optimale Technik,

auf didaktisch ausgefeilte Modelle oder auf anspruchsvolle Inhalte ausgerichtet.

Die Frage, wer dann später dafür bezahlen soll, wird oft hinten angestellt.

Es zeigt sich immer wieder, dass die Vermarktungsfähigkeit stark davon

abhängt, ob in die Produktentwicklung frühzeitig Marktanalysen, Kundenberatung

und entsprechend angepasste Erlösmodelle aufgenommen wurden. Die LERNET-Projekte

haben sich auch diesen Fragen offensiv gestellt. Die nächsten Monate werden

zeigen, ob der erwartete Erfolg im Markt der kleinen und mittleren Unternehmen

sowie in Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung auch tatsächlich

eintritt. Eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer – sie kann

ihn jedoch ankündigen.

 

 

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