2004/5 | Editorial | Wissensmanagement

Fachexperten als Wissenspromotoren

von Prof. Dr. Sibylle Peters, Sandra Dengler

Um im verschärften Wettbewerb zu bestehen und immer wieder neue Produkte und Dienstleistungen anbieten zu können, benötigen Unternehmen ständig neues Wissen, das vor allem in den Köpfen von kreativen Fachexperten entsteht. Solange es jedoch dort isoliert verbleibt, kann es nicht dazu beitragen, dass Innovationen entstehen. Die entscheidende Frage lautet also: Wie gelangt man an dieses Wissen und wie kann man es schneller für neue Produkte nutzen? Die Lösung scheint auf den ersten Blick einfach: Kreative Köpfe müssen zusammengeführt werden, um durch den Austausch ihrer Ideen neues Wissen aufzubauen. Wie und wo findet man diese Fachexperten im Unternehmen? Wer weiß, wer was weiß? In einem Forschungsprojekt haben wir versucht, jene Mitarbeiter in Unternehmen zu identifizieren, die wissen, wer was weiß. Unsere Suche konzentrierte sich dabei besonders auf die Bereiche der Forschung und Produktentwicklung, wo neues Wissen am meisten und am schnellsten benötigt wird. Wir haben dort nach Mitarbeitern gesucht, die fast immer die aktuellen Trends der Branche kennen, die von anderen Mitarbeitern oft um Rat gefragt werden und ihr Wissen teilen, die relevante Experten im Unternehmen kennen und selbst Experten eines speziellen Fachgebietes sind. Solche Fachexperten, die aktuelles Wissen beschaffen, aktiv weitergeben und andere Experten untereinander vernetzen, nennen wir Wissenspromotoren. Neue Wege in der Wissensvernetzung Entwickelt wurde das Profil des Wissenspromotors vom Institut für Berufs- und Betriebspädagogik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg im Rahmen des Verbundprojektes Inno-how. Ziel dieses vom Bundesministerium für Bildung und Forschung innerhalb des Rahmenkonzeptes „Forschung für die Produktion von morgen“ geförderten und vom Projektträger Produktion und Fertigungstechnologien (PFT) am Forschungszentrum Karlsruhe betreuten Projektes ist es, neue Wege der Wissensentstehung und -vernetzung für die Produktentwicklung von Unternehmen zu erkennen und zu gestalten. Die Basis dafür ist vor allem das Konzept der Hypertext-Organisation der japanischen Autoren Nonaka und Takeuchi [1] sowie das Promotorenmodell von Witte [2] und der Ansatz der Wissens- und Lernbarrieren von Schüppel [3]. Die Idee der Hypertext-Organisation wurde im Projekt Inno-how so weiterentwickelt, dass neben der Gestaltung von geeigneten organisationalen Rahmenbedingungen, um Wissensträger zu vernetzen, und dem Einsatz von Methoden zur Förderung ihres Austausches spezielle Akteure als Knotenpunkte in der Hypertext-Organisation verankert werden. Bei Inno-how operationalisierte das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF), Magdeburg, das Modell der Hypertext-Organisation für die konkrete Gestaltung bei den beteiligten Industriepartnern [4, 5]. Die Core Business Development GmbH, Berlin, entwickelte das Methodenset des kommunizierenden Lernens als Verlinkungsinstrument und für die Wissenskommunikation [6]. Neben ausgewählten Praxisbeispielen neuer Funktionen im Wissensmanagement bot uns das Konzept der Förderung von Innovationsprozessen durch Promotoren erste Orientierungspunkte zur Entwicklung eines Profils für den Wissenspromotor, der zwischen den verschiedenen Dimensionen der Hypertext-Organisation Wissen und Know-how-Träger vernetzt. Unser Ziel war es, sowohl informelle als auch bereits formal verankerte Funktionen von Wissensdienstleistern im Unternehmen sichtbar zu machen, ihre Aufgaben zu beschreiben und ihr Handeln zu untersuchen. Damit konzentrierten wir uns auf das Wirken einer ganz spezifischen Akteursgruppe in wissensintensiven Arbeitsprozessen von Unternehmen: die Fachexperten. Über diese Gruppe von Akteuren ist bekannt, dass sie in konkreten Anforderungssituationen nachgefragt werden. Besondere Bedeutung haben Wissenspromotoren für Forschungs- und Entwicklungsprojekte. Wissenspromotion ? eine neue Funktion von Fachexperten Zu Beginn unserer Untersuchungen konnten wir feststellen, dass Projekte in der Produktentwicklung dazu neigen, sich zu Wissensinseln zu entwickeln. Nicht selten gehen wesentliche Teile des im Laufe eines Projektes aufgebauten Wissens nach dessen Abschluss verloren. Folgeprojekte mit ähnlicher Problemstellung können somit nicht auf dieses Wissen zugreifen. Außerdem hat sich gezeigt, dass sich die einzelnen Projektteams selten oder gar nicht untereinander austauschen. Die Folge sind Doppelentwicklungen, Wiederholungsfehler und Zeitverzögerungen. Wissenspromotoren können hier Abhilfe schaffen. Sie sind mit den Wissensquellen im Unternehmen vertraut und kennen die Wissensträger verschiedener Projekte. Dadurch sind sie in der Lage, Mitarbeitern unterschiedlicher Projektgruppen einen raschen Zugriff auf relevante Wissensquellen zu ermöglichen und Wissen aus den Projekten weiterzugeben. Darüber hinaus können sie aufgrund ihres speziellen fachlichen Know-hows den Kontakt zu Experten herstellen und diese untereinander vernetzen. Insgesamt fördert der Wissenspromotor den Austausch von Ideen, Methoden und Lösungsansätzen zwischen den Projekten. Er unterstützt und organisiert mit Hilfe verschiedener Methoden und Instrumente die Kommunikation und die Entwicklung von neuem Wissen. Diesen Prozess bezeichnen wir als Wissenspromotion. Dabei handelt es sich jedoch nicht um Aufgaben, die Führungskräfte zusätzlich übernehmen sollen. Der Fokus liegt vielmehr auf den Fachexperten, die in ihren Aufgaben, Rollen und Kompetenzen als Wissenspromotoren gestärkt werden sollen. Vier Typen von Wissenspromotoren Auf Basis eines speziell entwickelten Positionierungsrasters [5] konnten wir vier unterschiedliche Rollenprofile von Wissenspromotoren bei den Industriepartnern von Inno-how ausfindig machen und beschreiben. Je nach Art des Wissens, das ein Wissenspromotor vorwiegend austauscht und vernetzt (Fachwissen oder Metawissen), wirken Wissenspromotoren eher als Spezialisten oder als Generalisten. Als Spezialist beschafft ein Wissenspromotor zum Beispiel aktuelles Wissen seines Fachgebietes für die verschiedenen Projekte und vernetzt die Experten in einer fachspezifischen Community. Als Generalist baut er Wissen über das Wissen auf: Er ermittelt Wissensquellen und Wissensbedarfe, sucht Experten und findet Wege für ihre Vernetzung. Einen ersten Typus, den Wissensmerchant, fanden wir in einem wissensbasierten Dienstleistungsunternehmen. Dort besteht ein sehr hoher Vernetzungsbedarf, die Entwicklungsprojekte ähneln sich inhaltlich stark und die Prozesse der Vernetzung sind eher ad hoc geregelt. Die Aktivitäten dieses Wissenspromotor-Typs sind darauf gerichtet, Angebot und Nachfrage von Wissen unterschiedlicher Disziplinen der einzelnen Projekte zu ermitteln. Der Wissensmerchant sucht die benötigten Experten im Unternehmen und vermittelt Wissensangebote für die Projekte. Er sammelt Kundeninformationen als Impulse für neue Produktideen und bewertet deren Marktchancen. Der Wissensmerchant ist der typische Generalist. Den zweiten Typus, den Wissensnavigator, konnten wir in einem Industrieunternehmen mit Serienfertigung ausmachen. Die Produktentwicklung findet hier im Rahmen von Kunden- und Serienprojekten mit häufigem Prozessdurchlauf statt. Die Projekte sind dabei klar in Organisationseinheiten eingebunden und die Vernetzung von Projekten zu übergreifenden Organisationseinheiten ist bereits standardisiert worden. Dieser Typ Wissenspromotor ist ein Spezialist und bündelt Wissen eines bestimmten Fachgebietes zu Standards. Dazu muss er zielführend Wissen für die Entwicklungsprojekte auswählen. Er nutzt dafür einen speziellen Navigationscode: den jeweils aktuellen Stand der Technik. Damit beugt der Wissensnavigator Doppelentwicklungen vor, denn die von ihm erarbeiteten Standards können für andere, parallel laufende Projekte oder Folgeprojekte sowie in anderen Unternehmensbereichen genutzt werden. Der dritte Typus des Wissenspromotors, der Methodenmultiplikator, verfügt über ausgeprägtes Methodenwissen und identifiziert im Unternehmen effiziente und innovative Methoden sowie Methodenexperten. Er tauscht Methodenwissen zwischen verschiedenen Projekten aus und standardisiert neue, innovative Methoden für das gesamte Unternehmen. Dieser Wissenspromotor unterstützt Projekte mit Methoden, die sie in bestimmten Projektphasen benötigen. Dazu wird er zeitweise als Mitglied des Projektteams eingesetzt oder vermittelt als interner Methodentrainer das Know-how weiter. Der Methodenmultiplikator ist sowohl Spezialist für die Anwendung von Methoden seines Fachgebietes als auch Generalist in Bezug auf den Austausch und das Training von Methoden und die Vernetzung von Methodenexperten. Der vierte Typus ist der Expertiseagent, der im Entwicklungsbereich eines Unternehmens arbeitet, welches Hochtechnologien anbietet. Die Projekte sind hier komplex, unterschiedlich und Teil kundenbezogener, hoch innovativer Prozesse. Dieser Wissenspromotor ist ein Spezialist, der aktuelles Technologiewissen für die Projekte aufspürt und sie damit zum richtigen Zeitpunkt versorgt. Er sucht in seinem Fachgebiet Experten innerhalb und auch außerhalb des Unternehmens, um sie dann unterstützend in die jeweilige Projektphase einzubinden, wenn das spezielle Fachwissen benötigt wird. Der Expertiseagent berät und koordiniert Experten und Projekte und ist deshalb darauf angewiesen, sein eigenes fachliches Know-how zu erhalten und auszubauen. Deshalb ist diese Funktion im Unternehmen auf zwei Jahre beschränkt und nimmt häufig auch nur einen Teil der Kapazität der Experten ein. Denn aktuelles Know-how holt sich der Expertiseagent im ständigen Austausch mit verschiedenen Projektteams und dadurch, dass er selbst aktiv an Projekten mitarbeitet. Fazit: Die unterschiedlichen Profile der Wissenspromotoren spiegeln neue und veränderte Funktionsmuster von Fachexperten in den wissensintensiven Prozessen von Unternehmen wider. Diese Funktionen entwickeln sich in eine Richtung neuer Formen von Professionals, die aufgrund der Dynamik durch Wissensvernetzung ein verändertes Fachwissen abfragen [7]. Dieses Wissen wird nicht mehr primär in der Hochschulausbildung vermittelt und ist auch nicht mehr nur an einzelne Fachdisziplinen gebunden. Wissenspromotoren als neue Professionals entwickeln sich in flexiblen Ausprägungen vielmehr aus konkreten Anforderungssituationen wissensintensiver Tätigkeiten heraus [8]. Sie erscheinen im Status- und Machtgefüge von Unternehmen auf bisher unbekannte Weise und meist ohne formale Einbindung. Mit unseren Forschungen können wir zeigen, wie Fachexperten, die solche Funktionen bereits informell wahrnehmen, als Wissenspromotoren erkannt und mit einem speziellen Aufgabenprofil auch formal im Unternehmen verankert werden können. Link: Ausführliche Informationen zum Verbundprojekt Inno-how und den beteiligten Projektpartnern finden Sie unter: www.inno-how.de. Literatur: [1] Nonaka, I./Takeuchi, H.: Die Organisation des Wissens. Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen. Frankfurt, New York 1997. [2] Witte, E.: Das Gespann der Promotoren. In: Hauschildt, J./Gemünden, H.G. (Hrsg.): Promotoren. Champions der Innovation. Wiesbaden 1999. [3] Schüppel, J.: Wissensmanagement: Organisatorisches Lernen im Spannungsfeld von Wissens- und Lernbarrieren. Wiesbaden 1996. [4] Schnauffer, H.G./Stieler-Lorenz, B./Peters, S. (Hrsg.): Wissen vernetzen ? Wissensmanagement in der Produktentwicklung. Berlin, Heidelberg, New York 2004. [5] Schnauffer, H.G./Staiger, M./Voigt, S./Peters, S.: Von der Wissensinsel zum Netzknoten. In: wissensmanagement 5/2003. [6] Stieler-Lorenz, B./Paarmann, Y./Keindl, K./Waller, A.: Kommunizierendes Lernen: Über den Dialog zum Wissen. In: wissensmanagement 8/2003. [7] Peters, S. (Hrsg.): Professionalität und betriebliche Handlungslogik. Bielefeld 1998. [8] Peters, S. (Hrsg.): Lernen und Weiterbildung als permanente Personalentwicklung. München, Mehring 2003.

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