2003/4 | Editorial | Wissensmanagement

Der Meisterbrief im Handwerk ? ein Persilschein für Kompetenz und Qualität?

von Oliver Lehnert

Der Meisterbrief soll fallen. Er wird von vielen als Bollwerk gegen den Wettbewerb betrachtet, das althergebrachte Strukturen zementiert und die Modernisierung hemmt. Wenn es nach der Bundesregierung geht, wird die Zahl der Berufe, für die ein Meistertitel vorgesehen ist, von 94 auf 32 als „gefahrengeneigt“ eingestufte Tätigkeiten wie Installateure oder Elektrotechniker sinken. In den anderen 62 Berufen soll der Meisterbrief als Qualitätssiegel bleiben, ist aber dann nicht mehr Voraussetzung für die Gründung eines eigenen Betriebes. Der Zunft soll somit aus der Strukturkrise geholfen werden, bis zu eine Million neue Arbeitsplätze sollen entstehen. Dagegen läuft der Zentralverband des Deutschen Handwerks Sturm. Die Reform würde noch mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze kosten und führe zu einem Selbständigenproletariat und einer stark abfallenden Qualität. Ist die Kritik an den Reformbestrebungen berechtigt? Ich meine, nein. Denn hat nicht ein Geselle mit über 10 Jahren Erfahrung in seinem Beruf das Wissen und die Kompetenz erlangt, nicht nur einen eigenen Betrieb zu führen, sondern auch junge Menschen auszubilden?

Aus Erfahrung lernen ? diese klassische Maxime der Ausbildung im Handwerk birgt wertvolle Anregungen auch für moderne Wissensorganisationen. Im Rahmen unseres aktuellen Titelthemas „Wissensbasiertes Verbesserungsmanagement“ (ab Seite 22) verdeutlicht Peter Schütt, dass Erfahrungen wichtige Wissensbestandteile sind, die sich aber nicht trivial managen lassen. Community-Konzepte können helfen, relevantes Erfahrungswissen im Unternehmen zu identifizieren, weiterzugeben und wieder zu verwenden. Das Zusammenführen der Erfahrungen von Mitarbeitern trägt dazu bei, aus Vorgängerprojekten zu lernen und neue, optimierte Vorgehensmodelle zu entwickeln.

Von einer ganz anderen Seite betrachten Matthias Jarke und Ralf Klamma das Thema. Sie zeigen auf, wie sich das Fehlerwissen von Kunden und Mitarbeitern mittels intelligenter Informationstechnologien systematisch erfassen und analysieren lässt. Der Knackpunkt für geeignete Korrekturmaßnahmen ist dabei, die Verantwortlichkeiten im Unternehmen transparent zu machen.

Das Titelthema wird abgerundet durch das Fraunhofer-Projekt indiGo, in dem mit dem so genannten E-Partizipativen Prozesslernen eine webbasierte Plattform und Methodik entwickelt wurde, die eine umfassende Einbindung der Mitarbeiter in die Verbesserung von Geschäftsprozessen unterstützt.

Das Lernen aus Fehlern und Erfahrungen als wichtiger Baustein erfolgreichen Wissensmanagements könnte sicherlich auch dazu beitragen, die aktuelle Strukturkrise im Handwerk zu überwinden. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sich alle Beteiligten (Politiker, Interessenvertreter, Meister und Gesellen) an einen Tisch setzen, ihre Erfahrungen austauschen und bereit sind, voneinander zu lernen.

Dem Handwerk und Ihnen allen wünsche ich eine auf Gegenseitigkeit und Achtung ausgelegte Streit- und Wissenskultur.

Ihr

Oliver Lehnert

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