2001/2 | Editorial | Wissensmanagement

Mehr Mut zum Nicht-Wissen!

In „Der Name der Rose“ lässt Umberto Eco die Mönche einer mittelalterlichen Abtei sterben, weil sie mehr wissen wollen, als sie wissen dürfen. Perfiderweise sterben sie quasi am Wissenserwerb: Die Seiten des Unruhe stiftenden und deshalb unter Verschluss gehaltenen dritten Buches der Poetik von Aristoteles sind vergiftet. Der Wunsch zu wissen und der Versuch, neues Wissen zu erwerben werden mit dem Tod bestraft.

Diese dunklen Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Spätestens seit dem „Sapere aude“ (Wage es, zu wissen) der Aufklärung im 18. Jahrhundert wird eher das Nicht-Wissen bestraft ? wenn auch nicht unbedingt mit dem Tod.

Heute im 21. Jahrhundert steht uns mit dem Internet ein riesiger Informationsspeicher zur Verfügung. Der Wunsch nach Wissen ist also kein Wagnis mehr. Oder doch? Alleine die Tatsache, Informationen zur Verfügung zu haben, ist noch nicht gleichzusetzen mit einem Zuwachs an Wissen. Im Gegenteil, die Schere zwischen dem Zuwachs an reiner Information und dem Zuwachs an Wissen geht immer weiter auf. Der Philosoph, Mathematiker, Forscher und Schriftsteller Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646-1716) gilt als letzter Universalgelehrter, der über das gesamte Wissen seiner Zeit (aktiv) verfügte. Gerade in unserer Informationsgesellschaft schlicht undenkbar!

Die theoretische Verfügung über diesen riesigen Informationsbestand bedeutet jedoch nicht, das Wissen zu haben. Vielmehr birgt das Internet mit seiner faszinierenden Informationsvielfalt die nicht zu unterschätzende Gefahr sich in seinen Weiten zu verlieren. Oder sind Sie noch nie auf der Jagd nach der einen wichtigen Information gewesen, um dann nach einigen (vergeudeten?) Stunden um einen mehr oder weniger wertlosen Informationsschatz reicher Ihre Entscheidung ohne eben diese eine, scheinbar so wichtige, aber unauffindbare Information zu treffen? Informationsrecherche im Internet kann zum zeitraubenden Selbstzweck werden!

Gerade weil man aber weiß, dass die Information eigentlich im direkten Zugriff ist, kann man immer weniger darauf verzichten. Das Internet macht uns zu Abhängigen der Information, zu Informiertheits-Junkies. Dabei stellen wir uns oft nicht mehr die Frage, ob eine Entscheidungsfindung ohne diese Informationen tatsächlich unmöglich ist. Im Sinne des in der letzten Zeit viel propagierten Unternehmergeistes sollten wir uns vielleicht wieder darin üben, auch bei unsicherer Informationslage zu Entscheidungen zu finden.

Ebenso bedürfen Kreativität und in deren Folge Innovation denkerischer Freiräume. Diese Freiräume verbauen wir uns aber durch Über-Informiertheit: Stellen Sie sich Ihren Geist als Fußballfeld vor, auf dem der Fußball als Ideen-Impuls zwischen den Spielern respektive Wissenseinheiten hin- und hergespielt wird. Ganz ohne Wissenseinheiten bewegte sich der Ball gar nicht, wenn aber auf dem ganzen Fußballfeld dicht an dicht Spieler an Spieler steht, bewegt sich der Ball auch nicht mehr. Sollte also das Motto unserer nach-aufklärerischen Zeit lauten: „Non sapere aude! ? Wage es, nicht zu wissen“? Leif Edvinsson, Vordenker in Sachen intellektuelles Kapital und unser Interviewpartner in diesem Heft, liebt provokante Formulierungen und würde dem vielleicht zustimmen.

Die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben, ist also wohl (noch) ein Wunschtraum. Ebenso ist die Intention einiger Internet-Pioniere, Informationen via eines basisdemokratischen Internets jedermann zugänglich zu machen, ein unerreichtes Ideal. Unsere Informationsgesellschaft, in der Information die neue und wertvollste Währung ist, droht vielmehr in Informierte und Unter-Informierte auseinander zu brechen. Mit sozialen Spannungen nicht mehr zwischen Arm und Reich, sondern zwischen Informations-Patrizier und Informations-Plebejer ist zu rechnen.

Wir sind noch weit davon entfernt, das Internet und seine Informationsfülle zu beherrschen. Doch erst dann kann es wahrhaft fruchtbar genutzt werden ? und zwar hoffentlich von allen.

Eine spannende Lektüre mit wohldosierter Information wünscht Ihnen Ihr

Wolfgang Sturz

Dr.-Ing. Wolfgang Sturz

Herausgeber

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