2003/4 | Fachbeitrag | Wissensmanagement einführen

Innovativer Wissenszugriff als Erfolgsfaktor

von Wolfgang Lussner

 

  Von Wolfgang Lussner

 

Inhaltsübersicht:

 

Wissensmanagement, einst Türöffner in die strategischen Abteilungen der Global Player, ist vielerorts zu einem Reizwort mutiert. Faktoren für das Scheitern von Wissensmanagement-Projekten gibt es viele: Machtdenken, abteilungsübergreifende Kommunikationsprobleme, zu hohe Erwartungen an das technisch Machbare aufgrund haltloser Versprechungen der Anbieter spielen eine Rolle, ebenso, ungenaue Zieldefinitionen und daraus resultierend eine unpassende Bewertungsbasis für den Erfolg des Projekts oder eine geringe Akzeptanz der Mitarbeiter. Die Nutzung des Wissenspotenzials eines Unternehmens für seine Fortentwicklung bleibt aber auf der Tagesordnung. Es gilt weiterhin, das Unternehmens-Know-how gewinnbringend nutzbar zu machen. Ein erster Ansatzpunkt hierzu ist die Sicherstellung eines gezielten Zugriffs auf relevantes bereits dokumentiertes Wissen durch innovative Software-Lösungen.

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Schritt für Schritt zur Gesamtlösung

Ein erster Schritt zur Steigerung der Wertschöpfung durch Wissensmanagement kann schon die Verbindung zweier Insellösungen sein, etwa durch die Programmierung einer Schnittstelle zwischen dem neu angeschafften Warenwirtschaftssystem und der seit Jahren vorhandenen Adressdatenbank im Vertrieb. Ist der medienbruchfreie Informationsfluss einmal gewährleistet, können weitere Anwendungen im Rahmen eines Gesamtkonzeptes verbunden werden. Ziel ist es, jede Information digital vorzuhalten, um Medienbrüche so weit als möglich aufzuheben.

Wissensmanagement ist also nicht an der Größe der Anforderung, sondern immer am Nutzen zu messen und kann in jedem Unternehmen auch im kleinsten Maßstab kurzfristig begonnen und umgesetzt werden.

Die vollendete Form des Wissensmanagements bedeutet aber eine Revolution der Unternehmenskultur. Erforderlich ist eine generelle Ausrichtung der Geschäftsprozesse auf den Informationsfluss im Rahmen einer umfassenden Gesamtlösung. Diese speichert im Idealfall alle verfügbaren Informationen eines Unternehmens an zentraler Stelle, steuert diese und stellt die benötigten Daten dem Anwender gemäß seiner Rechte und Interessen im Bedarfsfall in der benötigten Form zur Verfügung. Damit bedeutet die Einführung von Wissensmanagement einen unternehmensspezifischen Prozess, der, einmal gestartet, die Kultur eines Unternehmens zum Teil drastisch verändert.

Ob nun im kleinen Rahmen oder als Gesamtlösung – die Prozesse und Hierarchien in wissensorientierten Unternehmen werden kritisch auf ihre Notwendigkeit hin geprüft und optimiert.

Viele Unternehmen stellen sich noch heute die Frage nach dem Sinn des Einsatzes von Wissensmanagement. Dem in der Regel kurzfristig hohen Initialaufwand bei der Einführung stehen Synergieeffekte mit hoher Wertschöpfung über lange Zeiträume gegenüber – und das gilt für Unternehmen jedweder Größe. In Anlehnung an Paracelsus, nach dem stets die Dosis das Gift macht, lässt sich folgende Erkenntnis ableiten: In den richtigen Dosen verabreicht, stärkt Wissensmanagement nicht nur die Gesundheit eines Unternehmens, sichert dessen Position im Markt, erleichtert den Umgang mit Lieferanten und Kunden sowie den eigenen Mitarbeitern, sondern führt bei überlegtem Einsatz auch unweigerlich zum Erfolg.

Die Erfolgsfaktoren bei der Einführung eines IT-Systems für die Wissensbereitstellung bestehen darin,

  • das relevante Wissen im Unternehmen systematisch aufzusp[cedilla]ren
  • zielgerichtet Prozesse im Umgang mit dem Unternehmenswissen zu definieren
  • darauf abgestimmt geeignete Hard- und Softwarel[^]sungen auszuw[per thou]hlen und
  • diese gewinnbringend in die Wertsch[^]pfungskette des Unternehmens zu integrieren

Dabei erfolgt der Aufbau einer erfolgreichen Wissensmanagement-Strukturen schrittweise in mehreren Ebenen, die im Folgenden skizziert seien.

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Ebene 1: Zugriff auf relevante Informationen

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht als Ausgangspunkt für Wissensmanagement zunächst das Textdokument. Während für den Menschen das Erkennen einer Information, ihre Zuordnung und der daraus resultierende Aufbau von Wissen ein Automatismus ist, hat der Computer kein Verständnis für den Bedeutungszusammenhang der in einem Dokument enthaltenen Information. Wissen ist zudem unbestritten branchen- und bereichsabhängig, wie der Begriff „Fachterminologie“ verrät. Die Semantik einer jeden Branche muss in ihrer Bedeutung erfasst werden, um Informationen zuordnen und fachspezifisches Wissen aufbauen zu können. Dabei muss mittels innovativer Retrieval- und Klassifikationswerkzeuge auch der Adhoc-Zugang zu den Informationen in einem Text möglich sein.

Die Mehrzahl der dazu angebotenen Systeme unterstützt die Stringsuche. Der Computer vergleicht die Worte (Buchstabenstring) der Suchanfrage mit den Worten im Index, über den Index werden relevante Dokumente gefunden. Eine Erhöhung der Trefferanzahl und der Trefferqualität wird durch die Nutzung Boole’scher Operatoren, Trunkierungen, Joker bzw. Wildcards, Synonymlisten und Thesauri erzielt. Dabei ist zu beachten, dass der Computer bei der Suche einer genauen mathematischen Syntax folgt. Wird diese Syntax vom Anwender nicht genau eingehalten, so wird auch nichts gefunden. In den meisten Fällen ist nicht einmal ein einfacher Thesaurus verfügbar. Die Qualität der Treffermenge ist entsprechend gering.

Erst die Entwicklung moderner und im Ansatz äußerst innovativer Softwarekomponenten ermöglicht eine deutliche Verbesserung beim Zugang zu den Inhalten der Textdokumente. Ein wichtiger Ansatz ist die Erstellung und Nutzung einer Ontologie. Eine Ontologie ist die Abbildung der semantischen Beziehungen zwischen Worten.

Der Aufbau einer spezifischen Ontologie ist aber äußerst zeit- und kostenintensiv. Deshalb schrecken viele Hersteller von Klassifikations- und Retrieval-Software vor der Entwicklung derartiger Wissensmodelle zurück und nur wenige liefern bereits heute allgemein gültige oder branchenspezifisch aufbereitete Ontologien.

Ein weiterer innovativer Ansatz, um den Zugang zu relevantem Wissen im Unternehmen zu gewährleisten, ist die Erkennung von Texten ähnlichen Inhalts. Die semantische Zuordnung der Inhalte erfolgt auf der Basis von probabilistischen und stochastischen Basis-Algorythmen. Buchstaben und Buchstabenkombinationen werden als Muster eines Dokuments abgebildet und mit anderen Mustern verglichen. Die Systeme werden nicht manuell aufgebaut, sondern in Lernzyklen trainiert. Das Studium der White Papers unterschiedlicher Hersteller selbstlernender Systeme zeigt, dass zum einen Shannons Informationstheorie und zum anderen der Ansatz Bayesianischer Netzwerke, meist in Kombination, zur Berechnung von Treffermengen benutzt werden.

Weitere Technologien haben keinen signifikanten Durchbruch im Markt erzielt oder können hinsichtlich ihrer zukünftigen Rolle im Markt nicht eindeutig zugeordnet werden. Genannt seien hier Fuzzy-Logic-Systeme, Case Based Reasoning (CBR) oder Strukturierungsvorgaben auf DIN-Basis wie die der Topic Maps.

Wir erkennen aber, dass der Zugriff auf relevante Information zur Wissensgenerierung im Unternehmen nur mit modernster Software und innovativen Technologien möglich ist. Die Auswahl der richtigen Software als Kernpunkt der Wissensmanagement-Bemühungen eines Unternehmens entscheidet in der Folge über die zu erzielende Wertschöpfung.

Retrieval- und Klassifikationstechniken

Manuelle Klassifikation anhand von Schlagwortlisten und Volltextsuche ist gleichsam der Standard.
Topic Maps sind standardisierte Netzwerke von Verweisen, verknüpft mit einer Sammlung von Informationsobjekten, die das Wissen eines Unternehmens abbilden. CBR-Systeme besitzen ein Wissensmodell für den Anwendungsbereich, auf den sie zugeschnitten sind und für den Produktdaten und Protokolle standardisiert werden. Fuzzy Logic erlaubt eine fehlertolerante Suche auf Basis berechneter Werte zwischen 0 und 1 als Wahrscheinlichkeit einer Übereinstimmung. Pattern Matching bildet signifikante Muster aus Buchstaben und Buchstabenkombinationen, die aus manuell vorklassifizierten Dokumenten erlernt werden, und benutzen diese zur Zuordnung neuer Dokumente. Semantische Analysen bauen auf einer um Spezialterminologien erweiterbaren Wissensbasis (Ontologie) auf. Diese verfügt über manuell abgebildete komplexe semantische Verbindungen in Nachahmung der menschlichen Denkweise. Hybridsysteme kombinieren gezielt die Vorteile einzelner Retrieval- und Klassifikationsansätze.

 

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Ebene 2: die funktionelle Ebene

Ist der Zugang zur relevanten Information gegeben, führt die nächste Ebene in Richtung unternehmensweites Wissensmanagement. Mit den nun zugänglich vorliegenden Dokumenteninhalten wird in der Folge funktionell über Management-Tools stark strukturiert verfahren. In die funktionelle Ebene fallen Systeme für Content- und Dokumentenmanagement, Workflow, Groupware usw. Diese Ebene zeichnet sich dadurch aus, dass im Unterschied zur Ebene 1 der Funktionsumfang des Gesamtsystems technisch nachvollziehbar ist und die Ergebnisse einer Funktion klar beschrieben werden können. Bei der Evaluierung können in Ebene 2 direkte Vergleiche des Funktionsumfanges sowie der Performance und Hardwareanforderungen zwischen Anbietern durchgeführt werden. Bei eindeutig definierten Abläufen im Unternehmen, die durch funktionelle Systeme unterstützt werden, kann jeder versierte IT-Dienstleister eine Produktauswahl vornehmen. Auch die Anbindung und Anpassung der Systeme kann, eine umfassende Beschreibung der Systemschnittstellen vorausgesetzt, durch einen IT-Dienstleister geschehen und bedarf keiner speziellen Experten.

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Ebene 3: die Zusammenführung

Wurden der Zugriff mittels innovativer Technologien und der Ablauf bzw. die Prozesse mittels funktioneller Systeme informationstechnologisch koordiniert, erfolgt in Ebene 3 die Zusammenführung von Softwaresystemen im Unternehmen, die nicht im Fokus der Wertschöpfungskette stehen, jedoch in Niederlassungen und untergeordneten Bereichen autark im Einsatz sind und im Einzelfall durchaus wichtige Informationen liefern und Vorgänge beeinflussen können. Die Anbindung erfolgt gewöhnlich über einfache Schnittstellen, die in der Regel über eine geringe Zahl von Übergabeparametern verfügen.

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Ebene 4: die umfassende Portallösung

Umfassendes Wissensmanagement wird schließlich über eine Portallösung umgesetzt. Das Portal ist der zentrale Zugang aller Mitarbeiter zu den unterschiedlichen Systemen im Unternehmen und somit zum gesamten dokumentiert verfügbaren Unternehmenswissen. Entsprechend der Anforderungen kann der Einstieg des einzelnen Mitarbeiters über eine personalisierte Site erfolgen. Diese liefert nach der Identifikation des Users beim Login ausschließlich die Informationen und Zugangsmöglichkeiten, die im Userprofil als Rechte hinterlegt wurden. Für die Führungsebene ist der unbeschränkte Zugang zu allen Ressourcen möglich.

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Innovativer Wissenszugriff als Erfolgsfaktor

 

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Fazit

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die bestmögliche Wertschöpfung beim Umgang mit dem Unternehmenswissen liegt unbestritten in einem schnellen, einfachen und effektiven Zugang zu relevanten Informationen. Der manuelle Aufwand, um eine Wissensbasis (Ontologie) und semantische Zugriffsmechanismen als Abbild der jeweiligen Firmen- und Branchenwelt aufzubauen, ist hoch. Ebenso ist der Einsatz selbstlernender Systeme oder anderer Technologien mit beträchtlichem Aufwand verbunden. Angesichts des Ertrags lohnt sich aber die Investition: Enorm und dauerhaft sind die Synergieeffekte, die der Zugang zu zentralen Informationsdatenbanken durch die Nutzung funktioneller Systeme freisetzt. Der Beitrag zur Steigerung der Wertschöpfung für das Unternehmen bei der Anwendung von Wissensmanagement liegt in

  • der Vermeidung von Medienbrüchen
  • der Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Informationen in Verbindung mit drastisch verringerten Suchzeiten sowie
  • einem reduzierten Installations-, Update-, Schulungs- und Wartungsaufwand im Vergleich zu Insellösungen

Der schnelle Zugang zu relevanten Informationen ermöglicht letztlich dem Management, unmittelbar auf einen sich mit hoher Dynamik verändernden Markt zu reagieren und das Unternehmen in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.

 

 

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