2013/2 | Kolumne |

Die Antwort ist „42“ – oder der Tanz um Big Data

von Gabriele Vollmar

In den letzten Wochen hat mich in unterschiedlichsten Medien – bis hin zum Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen – ein Begriff förmlich verfolgt: Big Data. Das neue große Versprechen auf große Geschäfte mit dem Gold des Informationszeitalters, Daten.

Mit Big Data werden Datenmengen bezeichnet, die zu groß und zu komplex sind, um sie mit bisher üblichen Datenbanken oder gar dem menschlichen Intellekt zu verarbeiten und zu analysieren. Dazu gehören auch Unmengen an unstrukturierten Daten wie sie via Twitter, Facebook und Co. minütlich überall auf der Welt von uns allen im Internet erzeugt werden und die viel über uns und unser (Konsumenten-)Verhalten verraten. Das große Geschäftsversprechen in Bezug auf Big Data liegt nun in innovativen Technologien, die in der Lage sind (oder sein sollen) diese Datenmengen in kurzer Zeit zu analysieren und damit Antworten zu liefern auf – so das implizite Versprechen – nahezu alle erdenklichen Fragen. In Zürich will ein Professor gar auf einem Computer das gesamte Weltgeschehen simulieren und damit das menschliche Verhalten und letztlich unsere Zukunft prognostizieren (http:// www.futurict.eu/).

Erinnert Sie das nicht auch ein wenig an Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“ und an die Frage nach „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“, die der Protagonist dem größten und leistungsfähigsten Computer der ganzen Galaxie stellt? Und an dessen lapidare Antwort: „42“?

Die Antwort „42“ verweist auf zwei grundsätzliche Probleme mit Big Data:

Welche Fragen sollen bzw. können überhaupt sinnvoll gestellt werden? Und wie konkret formuliert?

Und wie sind die Antworten sinnhaft zu interpretieren? Und welche Handlungsoptionen und Entscheidungen lassen sich daraus ableiten?

Und nicht zu vergessen die ganz grundsätzliche Frage nach Zweck und Nutzen dieses ganzen – aufwändigen und teuren – Frage-und-Antwort-Spiels (jenseits der schieren Faszination des technisch Machbaren). Welchen konkreten Mehrwert hat beispielsweise ein großer deutscher Schuhhändler nach Auswertung aller verfügbarer Daten von der wenig überraschenden, nun aber datengestützten Erkenntnis, dass Kunden im Sommer eher Sandalen und im Winter eher Stiefel kaufen?

Das Versprechen um Big Data erscheint mir teilweise wie ein Versprechen auf einen bequemen Rückzug aus der Verantwortung: Die Daten geben DIE Antwort und nehmen damit auch eine Entscheidung im Grunde vorweg. Damit ist der so genannte Entscheider degradiert zu demjenigen, der die sich aus den Daten zwangsläufig ergebende Erkenntnis in die Praxis umsetzt. Anstelle eines „ich denke, dass…“ oder „ich bin überzeugt davon, dass...“ tritt ein „die Daten sagen klar, dass…“.

Erfüllt Sie das mit Zuversicht, dass die Zeit der fatalen Fehlentscheidungen endlich zu Ende geht? Oder erfüllt es Sie auch ein wenig mit Schrecken?

Erschrecken über immer weiter gehende Manipulierbarkeit, denn wer definiert die Fragen, die an Big Data überhaupt gestellt werden? Und kennt, wer die Antwort erfährt, auch die zugrundeliegenden Fragen und kann deren Einfluss auf die möglichen Antworten angemessen abschätzen? Wie können wir Verlässlichkeit und Plausibilität von Aussagen noch überprüfen, wenn sowohl die zugrundeliegende Datenmenge als auch die zur Analyse eingesetzten Algorithmen unser Verständnis übersteigen? Vertrauen wir blind auf die scheinbare Objektivität eines technischen Verfahrens? Was ist mit der Heisenberg‘schen Unschärferelation, wonach alleine der Akt der Messung das gemessene Objekt bereits beeinflusst?

Mich erfüllt beim aktuell zu beobachtenden Tanz um Big Data zunehmendes Unbehagen. Unbehagen über (mal wieder) das ganz große Geschäft und die damit verbundene Goldgräberstimmung. Unbehagen über ein merkwürdiges Vertrauen in scheinbar objektive Daten und die Vorrangstellung von, für den nicht Eingeweihten wenig durchschaubaren, technischen Verfahren (hat nicht genau diese Art blindes Vertrauen im High Speed Investment Banking die letzte Finanzkrise nicht erst ausgelöst?). Unbehagen über eine beobachtbare Ignoranz hinsichtlich der Tatsache, dass der Schritt von der Datenanalyse zur (richtigen?) Erkenntnis noch ein weiter ist. Unbehagen über das Versprechen einer Vorhersagbarkeit menschlichen Verhaltens und letztlich der Zukunft. Und schließlich Unbehagen über immer weniger schlichten gesunden Menschenverstand und persönlichen – ja – Mut beim Treffen von Entscheidungen.

Doch genug des Wissenschaftspessimismus! Big Data und die aktuellen Innovationen um Big Data sind mehr als einen interessierten Blick wert – aber bitte doch mit der kritischen Distanz!

Ihre Gabriele Vollmar

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