Fachbeiträge

Ausgabe 4 / /2010
Fachbeitrag Grundlagen & Theorien

Mit Marketing 2.0 Kunden gewinnen

von Prof. Dr. Gerald Lembke

Nur wenigen Marketingverantwortlichen ist bewusst, dass 2008 bereits 98 Prozent der privaten Internetnutzer das Internet für die Jagd nach dem günstigsten Produkt nutzten; des Weiteren, dass hiervon wiederum fast 50 Prozent für ihre (Kauf-)Entscheidungen die Kommentare anderer Nutzer zum Beispiel in Diskussionsforen heranzogen. Unklar ist vielen auch, wie Internetnutzer auf die Informationsfülle im Netz reagieren. Sie gehen immer gezielter und selektiver vor. Haben sie nicht unmittelbar den Eindruck, dass ein Suchergebnis ihrem aktuellen Informationsbedürfnis entspricht, wird es ohne zu Zögern weggeklickt. Sie „scannen“ die Informationen sozusagen und selektieren diejenigen heraus, die ihnen auf den ersten Blick erkennbar (zumindest scheinbar) den größten Nutzen bieten.

Inhaltsübersicht:

 

Halbherzig und wenig professionell – so wirken die Versuche der meisten Unternehmen, das Internet für das Gewinnen von Kunden zu nutzen. Denn viele Marketingmanager haben noch nicht verinnerlicht, wie stark sich das Mediennutzungsverhalten der Kunden geändert hat. Außerdem fehlt den Organisationen oft eine Marketingstrategie, die diese Tatsache ausreichend berücksichtigt. So ergab eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach, dass sich mit dem Internet nicht nur das Mediengefüge verschiebt. Es entsteht auch eine neue Informationskultur, die sich unter anderem durch ein On-Demand-Informationsverhalten der Internetnutzer auszeichnet. Parallel dazu kam eine Studie von McCann zum Schluss: Das Wissen von zwei Drittel der Marketingmanager bezüglich der Nutzung der Digitalen Medien ist gering.

 

Unternehmen müssen umdenken

Das geringe Wissen vieler Marketingmanager über die Nutzung der Digitalen Medien spiegelt sich auch in den Versuchen der Unternehmen wider, über das Internet Kunden zu gewinnen: Sie wirken meist unprofessionell. Zwar gibt es vereinzelt professionelle Internetangebote. Diese stammen aber in der Regel von Nischenanbietern. Analysiert man hingegen die Versuche von Anbietern in den Massenmärkten via Internet Kunden zu akquirieren, dann registriert man meist einen Mangel an Dynamik und Innovation. Viele Unternehmen scheinen zudem noch die erforderlichen Investitionen für eine professionelle Kundengewinnung mit Hilfe des Internets zu scheuen.

 

Wenn Unternehmen den Bedeutungsverlust der Print- und TV-Werbung kompensieren möchten, müssen sie sich eingestehen: Die Kundengewinnung via Internet funktioniert anders als die klassische Werbung. Sie müssen zudem erkennen, dass die Kundengewinnung via Internet nicht primär ein Technikthema ist. Viel wichtiger ist eine Strategie, die

  • auf einem tiefen Verständnis des Kundenverhaltens basiert,
  • die Kundengewinnung neu denkt und
  • die betrieblichen Ressourcen in die richtige Richtung lenkt.

Eine solche Marketing-2.0-Strategie existiert in den meisten Unternehmen (noch) nicht.

 

Kernfrage: Wie gewinnen wir künftig Kunden?

Was zeichnet eine solche Strategie aus? Spielt in ihr der klassische Marketing-Mix keine Rolle mehr? Im Gegenteil! Er wird auch künftig von hoher Bedeutung sein. Doch die marketingpolitischen Instrumente entwickeln sich in eine neue Dimension und diese bringt aufgrund der Dynamik und Schnelligkeit des Internets neue Herausforderungen mit sich: Sie resultieren aus der Entwicklung von einer Anbieter- hin zu einer Nachfrageorientierung seit den 70er Jahren. Diese ist geprägt von einem hohen und weiter wachsenden Konsumenten-Individualismus und Nutzen-Egoismus – zwei Phänomene, über die zwar schon viel gesprochen wurde, deren Konsequenzen für die Kundengewinnung aber noch kaum erforscht sind.

 

In Marketing-2.0-Ansätzen verliert der planerische Prozess der Kundengewinnung, wie er heute mit Hilfe von CRM-Systemen praktiziert wird, an Bedeutung. Stattdessen tritt etwas in den Vordergrund, was Marketing- und Absatzleute nicht gerne hören: Die (Ziel-)Kunden rücken ins Zentrum des eigenen Verstehens und Organisierens und haben am Planungs- und Entscheidungsprozess teil.

 

Am „Point of Sale“ zeigen die Kunden ein Verhalten, das mit den Denkmustern des Ladenverkaufs nicht hinreichend erklärt werden kann. Also müssen neue Erklärungsmodelle sowie Marketingkonzepte entwickelt werden – und zwar solche, die von einem Verständnis der Integration der Digitalen Medien in den marketingpolitischen Entscheidungsprozess geprägt sind. In Marketing-2.0-Ansätzen wird der Marketingmanager zum Medienmanager, der sich nicht nur in Produkten und Zielgruppen auskennt. Er versteht es auch, die zahlreichen Techniken und Chancen des klassischen Marketing-Mixes in eine Online-Kommunikations-, Produkt-, Distributions- und Preiswelt zu übersetzen.

 

Gesteuerte Freiheit ersetzt Kontrolle

In einem Marketing-2.0-Ansatz spielen die Marketinginstrumente gleichberechtigt zusammen. Hierdurch verändert sich auch die Arbeitsweise der Marketingabteilungen. Kommunikationspolitisch ist es nicht mehr damit getan, einen TV-Spot zu produzieren und ihn mit Hilfe eines üppigen Mediabudgets an ein Millionenpublikum zu bringen. Marketing 2.0 nutzt die Skaleneffekte des Internets.

 

Damit verbunden ist ein Kontrollverlust der Markenverantwortlichen. Sie können nicht mehr bestimmen, welche Werbebotschaften welcher Kunde wann mit welcher Intensität sieht. Im Marketing 2.0 ruft der Nutzer die Werbung selbst ab. Er gestaltet und bestimmt sein Informationsportfolio eigenständig. Der Kontrollverlust geht so weit, dass der Nutzer nach typischer Web-2.0-Manier Informationen bewertet, in neue Kanäle einsortiert und kommentiert. Ein Alptraum für jeden Marketingmenschen.

 

Sechs Elemente einer Marketing-2.0-Strategie

Eine Neudefinition der Kundengewinnung setzt strategische Entscheidungen voraus. Im Folgenden werden sechs Schlüsselelemente für eine erfolgreiche Kundengewinnung im Internet skizziert.

 

1. Lerne alles über Digitale und Soziale Medien

Digitale Medien und Social Media sind in aller Munde. Der effektive Einsatz dieser Tools erfordert technische Grundkenntnisse, da solche Marketingprojekte viele interdisziplinäre Aufgaben beinhalten. Zudem ist ein Verständnis der Funktionsweisen von Communities, wie zum Beispiel Facebook, Twitter und XING, nötig. Deren Betreiber bieten auch Seminare an, in denen neben der technischen Funktionsweise ebenso der Umgang mit (Neu-)Kontakten thematisiert wird. Nicht verwechseln sollte man diese Plattformen mit Social-Media-„Kuscheltreffen“, wie zum Beispiel StudiVZ oder MeinVZ. Doch lassen sich auch hieraus Erkenntnisse gewinnen, wie, warum und wie lange Menschen im digitalen Umfeld miteinander kommunizieren oder eben nicht.

 

 

2. Entwickele einen eigenen Web-2.0-Marketingplan

Web 2.0 ist ein Schlagwort, das für eine Reihe interaktiver und kollaborativer Elemente des World Wide Webs verwendet wird. Grundsätzlich birgt das Web 2.0 für die Kundengewinnung ein großes Potenzial. Im Mitmachweb sind User und Kunden angehalten, Kommentare und Meinungen abzugeben und zu bewerten, entweder in Form von Produktfeedbacks (vgl. Amazon-Rezensionen) oder durch Symbole (Sternbewertung und andere). Diese Feedbacks sind nicht immer positiv – ebenso wie in der Mund-zu-Mund-Progaganda, wenn Freunde zum Beispiel abends gemeinsam grillen.

 

Entscheidungsleitend für das Web-2.0-Konzept eines Unternehmens sollten die notwendigen Bezugspunkte zu den eigenen klassischen Marketing-Methoden sein. Wie lassen sich Web-2.0-Tools in die Preis- oder Kommunikationspolitik strategisch und operativ dauerhaft integrieren? Wie können wir eine Social-Community für unsere Distribution nutzen, ohne dort Bannerwerbungen hineinzufüllen? Wie können wir Internet-User und unsere Kunden an unserem Produktportfolio mitarbeiten lassen und dieses laufend optimieren? Unternehmen, die Antworten auf diese Fragen finden, werden mittel- und langfristig einen hohen Nutzen aus ihren Marketing-2.0-Konzepten ziehen.

 

3. Nutze „Word-of-mouth-Marketing“

Im Zuge wachsender Werbeinformationen und sinkender Glaubwürdigkeit von Werbeeinflüssen orientieren sich Verbraucher zunehmend an nicht-werblichen Meinungen und Empfehlungen. Die 2007 publizierte Studie „Trust in Advertising“ zeigt, dass 78 Prozent der Verbraucher Empfehlungen anderer Konsumenten vertrauen. Diese „Markenbotschafter“ genießen die größte Glaubwürdigkeit bei der Informationsbeschaffung und beim Kauf von Produkten.

 

 

Beim viralen Marketing (auch Word-of-mouth-Marketing, Buzz Marketing oder Guerilla Marketing genannt) geht es darum, eine positive Mundpropaganda für ein Unternehmen und dessen Leistungen auszulösen und diese zu steuern. Hierfür werden gezielt Botschaften über ein kostenfreies, leicht zu kopierendes oder zu übertragendes Medium zuverlässig und zeitlich unabhängig verbreitet. Der Inhalt wird dabei häufig multimedial und für den digitalen Einsatz aufbereitet. Anders als bei einer One-to-Many-Übertragung (Massenkommunikation) findet diese Kommunikation auf Basis des Many-to-Many-Prinzips statt, bei dem das Unternehmen die Kommunikation unter den Konsumenten anstößt. Eine erfolgreiche Viralkampagne führt zu überproportionalem Wachstum an Neuinteressenten und -kunden.

 

 

 

4. Öffne Deine Kommunikation! Genieße den Austausch mit Kunden

Marketingmanager scheuen sich meist, Kunden und Interessenten Einblicke in ihre Arbeitsweise oder Produkt- und Kommunikationspolitik zu gewähren. Sie betrachten eine solche Offenheit oft als Eingriff in ihre Autonomie und Infragestellung ihrer Profession. Hinzu kommt eine große Unsicherheit bezüglich dieser Form der Kommunikation. Ungeachtet dessen müssen die Marketingmanager ein Verständnis für das demokratisierte Nutzerverhalten entwickeln. Denn die Kommunikation der Unternehmen muss sich von einem angebotsorientierten One-Way-Traffic zum einem interaktiven Two-Way-Traffic entwickeln.

 

Der fehlenden Routine im Austausch mit Kunden stehen ungeahnte Chancen der Neukundengewinnung gegenüber. Denn niemand ist näher an den Produkten und Dienstleistungen als der eigene Kunde. Seine Wahrnehmungen, seine Nutzungserfahrungen sind entscheidend für künftige Kaufaktionen. Dies gilt nicht nur für Massen-Konsumprodukte wie Duschgels, sondern auch für erklärungsbedürftige Dienstleistungen wie Beratungsleistungen.

 

5. Mache etwas Neues, an das sich Kunden erinnern

Nichts ist langweiliger als ein bekanntes Produkt, das funktioniert. Die Wechselbereitschaft der Stammkunden wächst, weil diese gerne Neues ausprobieren. Die Zahl der Kunden, die ein Leben lang dasselbe Duschgel benutzen oder dieselbe Automarke fahren, sinkt.

 

Kundengewinnungsprogramme im Online-Bereich sind dazu angehalten, die überproportionale Wechselbereitschaft von Web-Usern zu nutzen. Hier sind Kreativität und Innovationen gefragt. So nutzen zum Beispiel die Drogeriekette dm oder der Discounter Lidl mit großem Erfolg Online-Preisausschreiben und ähnliche Interaktionstools, um Onlinekunden zu gewinnen. Ein zweites Beispiel, das diesen Trend aufnimmt, sind Video-E-Mails, wie sie GetResponse anbietet. Hier werden visuell-orientierte Nachrichten in E-Mail-Kampagnen ergänzt durch automatisierte Videobotschaften.

 

6. Vergiss nicht, aus Deinen Aktivitäten zu lernen (Tracking, Monitoring, Learning).

Schaffen Sie für Ihr Kundengewinnungsmanagement ein Klima des Lernens. Entwickeln Sie Ihren Verantwortungsbereich und Ihr Unternehmen hin zu einer Lernenden Organisation, indem Sie alle Sinne Ihres Online-Vertriebs und -Absatzes auf das Gewinnen eines stetigen Feedbacks, ein Erweitern der Wahrnehmungskanäle und das Generieren harter Zahlen hin entwickeln.

 

Daraus kann ein neues Erfolgsdenken entstehen. Hierzu werden neue Kennzahlen benötigt. Während gestern Marktanteile oder Kunden gemessen wurden, spielen heute die Anzahl und Qualität von Blog-Einträgen oder Twitter-Followers eine immer wichtigere Rolle. Bereits heute werden von einigen Unternehmen mit Hilfe von Online-Monitoring-Maßnamen Key-User, Opinion Leaders und spontane Diskussionen und Kommentare im Web 2.0 identifiziert und gezielt für Kundengewinnungskampagnen angesprochen. Dieses konsequente Monitoring ergänzt die klassischen Kennzahlen der Kundengewinnung, ohne sie ersetzen zu wollen.

 

Fazit

Die Zukunft der Kundengewinnung liegt in der Integration realer und virtueller Kundengewinnungsstrategien. Die Verschmelzung beider Marketingwelten wird künftig in immer mehr Unternehmen Realität sein. Die nächste Herausforderung lautet: die Marken für das mobile Internet attraktiv machen.

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