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7/2012
Kolumne Kolumne

Leben wir in der Nichtwissensgesellschaft?

von Gabriele Vollmar

Kürzlich hat die FAZ in einem Artikel mit dem Titel „Das Gerede von der Wissensgesellschaft“ die These aufgestellt, wir lebten weniger in einer Wissens- denn in einer Nichtwissensgesellschaft.

Hier die Argumentation: Unsere Zeit zeichne sich, so die FAZ, durch Hyperspezialisierung auf der einen und Innovationsbeschleunigung auf der anderen Seite aus. D.h. diejenigen, die wir wohl – mit einem anderen buzz word – als Wissensarbeiter bezeichnen würden, wissen immer weniger auf einem immer größer werdenden Feld und dieses wenige Wissen hat daru?ber hinaus auch noch eine äußerst geringe Halbwertszeit. In der Folge müssten sie sich immer stärker mit dem sie umgebenden Nichtwissen auseinandersetzen. Gefragt sei hier, so die FAZ, eine hohe „Ignoranzkompetenz“: „Überspitzt gesagt, ist in unserer Gesellschaft nicht nur auf der persönlichen Ebene, sondern auch auf der kollektiven Ebene die Organisation des Nichtwissens entscheidender als jene des Wissens.“ Erschwerend komme hinzu, so FAZ, dass es in einer Welt der weitgehend digitalisierten Information immer schwieriger werde, die Glaubwürdigkeit einer uns persönlich fremden, aber nichtsdestotrotz notwendigen Informationsquelle zu verifizieren.

Wir haben uns an dieser Stelle bereits mehrfach mit dem (kreativen) Potenzial des Nichtwissens auseinandergesetzt. Daher möchte ich im Folgenden etwas näher auf das Verständnis vom so genannten Wissensarbeiter in der (Nicht-)Wissensgesellschaft eingehen, unter anderem auch deshalb, weil wir uns in einem Fachteam der GfWM gerade genau mit diesem Begriff oder „Berufsbild“ auseinandersetzen.

Die FAZ bezieht sich in ihrem Artikel auf die Definition von Nico Stehr, der den Begriff Wissensgesellschaft ableitet von der „Durchdringung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche mit wissenschaftlichem Wissen.“ Abgeleitet davon, wu?rde der Wissensarbeiter die alte Trennung von white und blue collar worker aufnehmen, d.h. der Wissensarbeiter zeichnete sich durch einen hohen (akademischen) Bildungsgrad aus. Sicherlich eine bequeme, da leicht nachzuprüfende Kategorisierung. Doch gehen wir damit nicht weit zurück hinter die mittlerweile im Kontext von Wissensmanagement deutlich breitere Auffassung von Wissen, die gerade auch schwer fassbares, nicht akademisierbares Erfahrungswissen bis hin zu inkorporiertem Wissen umfasst? Wenn wir aber den Wissensbegriff so weit fassen, was ist dann ein Wissensarbeiter?

In unserem GfWM Fachteam, in dem wir uns eigentlich mit Arbeits- und Lebensraumbedingungen für den Wissensarbeiter auseinandersetzen wollten, mussten wir rasch feststellen, dass wir uns als Gruppe zunächst einmal auf ein gemeinsames Verständnis dieses Begriffes einigen mussten. Wie das halt manchmal so geht, mit den scheinbar einfachen Schlagwörtern, gell? Unser momentaner Favorit ist eine (noch nicht abschließend formulierte) Definition, wonach der Wissensarbeiter überwiegend mit seinem Wissen zur Wertschöpfung einer Organisation beiträgt. Aus Sicht der Organisation ist dies sicherlich schon einmal ein nicht uninteressanter Ansatz. Aus Sicht des Individuums wie auch des Wissens bevorzuge ich aber – muss ich gestehen – den Ansatz von Willke, der wissensbasierte, wissensintensive und schließlich die Wissensarbeit als solche unterscheidet, wobei, wie immer bei solchen Klassifizierungen, die Grenzen nicht nur fließend sind, sondern wir auch ständig in unseren Tätigkeiten zwischen diesen unterschiedlichen Arten hin und her wechseln. Hier zeichnet sich die echte Wissensarbeit dadurch aus, dass der Rückgriff auf vorhandenes Wissen zur Bewältigung einer Aufgabe nicht genügt, sondern neues, innovatives Wissen entwickelt werden muss. Dies verweist auf den FAZ‘schen Begriff der Ignoranzkompetenz in der Nichtwissensgesellschaft. So verstanden, wäre der Wissensarbeiter gerade nicht derjenige, der über das meiste (akademische) Wissen verfügt und dieses am besten einsetzt, sondern derjenige mit der ausgeprägtesten Ignoranzkompensation. Die Idee einer Nichtwissensgesellschaft würde damit also nicht etwa die Bedeutung des Wissensarbeiters in Abrede stellen, sondern vielmehr betonen.

Wissen, Wissensgesellschaft, Wissensarbeiter – Begriffe, die wir immer wieder verwenden, um unser Tun zu beschreiben und letztlich auch zu legitimieren, und die doch immer noch unscharf und strittig sind. Unseren ba – unseren Raum eines geteilten Verständnisses – haben wir hier, selbst innerhalb unserer überschaubaren Community, noch nicht gefunden. Aber wir können daran arbeiten, z. B. beim diesjährigen Knowledge Camp der GfWM, auf dem sich Wissensarbeiter kreativ mit ihrem Wissen und Nichtwissen einbringen können. Unter anderem können Sie hier auch mit den GfWM Fachteams zu deren aktuellen Themen arbeiten. Ich würde mich freuen, Sie am 12. und 13. Oktober in Karlsruhe zu treffen und gemeinsam mit Ihnen den Begriff des Wissensarbeiters weiter zu schärfen. Weitere Informationen zum GfWM Knowledge Camp: http://knowledgecamp.mixxt.org

Ihre Gabriele Vollmar


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