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3/2000
Editorial Wissensmanagement

Best-Practice-Konzepte für die Wissensvernetzung

von Stefan Dietlein

„Haben wir doch schon immer so gemacht“, wird uns oft entgegnet, wenn von Wissensmanagement die Rede ist. Ist Wissensmanagement also doch nur ein neues Schlagwort aus der Managementliteratur, eine leere Worthülse für alte Ansätze? Wir sind sicher, mit einem klaren Nein antworten zu können. Hinter dem neuen ? zugegeben allzu häufig strapazierten Begriff ?

„Haben wir doch schon immer so gemacht“, wird uns oft entgegnet, wenn von Wissensmanagement die Rede ist. Ist Wissensmanagement also doch nur ein neues Schlagwort aus der Managementliteratur, eine leere Worthülse für alte Ansätze?

Wir sind sicher, mit einem klaren Nein antworten zu können. Hinter dem neuen ? zugegeben allzu häufig strapazierten Begriff ? liegt ein Paradigmenwechsel in der Informationsvernetzung: Wissensmanagement bedeutet die Abkehr von technikgetriebenen Systemen und die Hinwendung zu ganzheitlichen, von den Inhalten bestimmten Systemen.

Dieser Beitrag zeigt Schlaglichter auf ein aktuelles Konzept, das in der Zusammenarbeit zwischen einem Beratungsunternehmen (Arthur D. Little) und einem IT-Unternehmen (LARS Software GmbH) entstanden ist und sich mehrfach als Best Practice in der Praxis bewährt hat.

Die Grundregel: Schneller sein im Besser sein

Die Arbeitswelt hat sich geografisch verteilt; gleichzeitig ist die Informationsbasis, auf der wir unsere Arbeit abwickeln und Entscheidungen treffen, enorm angewachsen. In der Innensicht unserer Unternehmen sind die Arbeitsprozesse komplexer geworden, nach außen ist die Wettbewerbssituation internationaler, in einigen Branchen global geworden.

Wo liegen Ihre Vorteile? Ihre Wettbewerber produzieren in Indien, finanzieren tagesaktuell und flexibel in der ganzen Welt, sind vielleicht an der besseren Börse notiert oder haben gestern das bessere Know-how in Ungarn aufgekauft. Wie also wollen Sie besser sein?

Der innere und äußere Druck erzwingt höhere Geschwindigkeiten und höhere Performance. Nicht zum Selbstzweck, denn es geht nicht einfach darum, schneller zu sein ? das könnte auch die schnellere Minderung des Erfolges bedeuten. Es geht vielmehr um ein Schneller sein im Besser sein.

Dass man dafür heute Knowledge Management (KM) in den meisten Branchen einsetzen muss, bestreitet kaum noch jemand. Doch Wissensmanagement in den traditionellen

IT-Szenarien ist in der Umsetzung zu langsam. Wenn man heute eine KM-Umgebung aufbaut und für deren Einführung ein Jahr beansprucht, sieht die innere und äußere Welt des Unternehmens schon wieder anders aus, kaum dass sich die Beteiligten einer fertigen Lösung sicher wähnen. Die Einführung eines KM-Systems darf keinesfalls länger als drei Monate in Anspruch nehmen. Die Implementierung von Wissensmanagement ist zeitkritisch in einem sich verstärkenden wissensbasierten Wettbewerb.

Die Lösung liegt in einem klaren Konzept und zugehörigen Standardapplikationen, die flexibel auf den individuellen Bedarf eingestellt werden können.

Wissensmanagement eröffnet insbesondere auch dem Mittelstand phantastische Wachstumspotenziale.

Die Globalisierung, New Economy und der damit verbundene Wettbewerbsdruck haben nicht nur große Unternehmen, sondern auch umfassend den Mittelstand erreicht. Nach allgemeiner Einschätzung liegen hier auch große Chancen, insbesondere durch den Einsatz von Wissensmanagement. Man muss geradezu an den Mittelstand appellieren, diese Innovationsforderung anzunehmen und die Möglichkeiten eines flexiblen mittelständischen Unternehmens auf der Know-how-Seite voll auszuschöpfen. Schneller in der Produktinnovation zu sein, effizienter im Networking mit Partnerunternehmen zu sein, den besseren Service anzubieten ? darin liegen phantastische Wachstumspotenziale für den Mittelstand.

Gerade der Mittelstand benötigt hier handfeste, schnell umsetzbare Konzeptionen und zugehörige Standardlösungen. Diese möchten wir nachfolgend skizzieren.

Klare Ziele im Wettbewerb: Formulierung der Zielsetzung

Der häufigste Fehler, der bei der Implementierung von Wissensmanagement gemacht wird, ist eine unscharfe Formulierung der Ziele. Dabei hat Wissensmanagement nicht zum Ziel, „irgendwie“ mehr Wissen besser zu verteilen, sondern verfolgt immer wirtschaftliche Ziele.

In der Regel lassen sich die Ziele klar mit einem wirtschaftlichen Gewinn fixieren und später messen. Beispiele sind:

• Arbeitsprozesse absichern (Qualität steigern)

• Arbeitsprozesse in der Organisation effizienter gestalten (Kosten senken)

• Ressourcen besser nutzen

• Kundenbedarf besser und/oder schneller verstehen

Wissen: Inhalte, Kontext, Träger und Prozesse

Den wichtigsten Schritt zur Modellierung des Begriffes Wissen möchten wir entlang eines Beispiels aus dem Alltag entwickeln: Sie sind in einer fremden Stadt und möchten am Abend ein Konzert besuchen. Um den Konzertsaal zu finden, gibt es unterschiedliche Wege: Ein Taxifahrer weiß es, er kann die Information geben. Oder man besorgt sich eine Karte, in der die Information enthalten ist.

In beiden Lösungswegen ist zunächst nur die Information vorhanden; der Transfer des Wissens findet nur unter bestimmten Bedingungen statt: Man muss einen Taxifahrer finden und ? im Erfolgsfall ? die Sprache des Taxifahrers verstehen. Mit der Karte ist es ähnlich ? man muss sich die Karte besorgen können und die Information der Karte auch lesen können. Zugriff und Verstehen sind die prägenden Begriffe von Wissen: Wissen ist verstandene Information.

Fassen wir zusammen: Grundlage des Wissensbedarfs ist der Prozess „Konzert besuchen“. Hier gibt es den wissenskritischen Abschnitt „Konzertsaal finden“, für den man auf unterschiedliche Wissensträger zurückgreifen kann ? einen Taxifahrer oder einen Stadtplan. Wenn die Informationen der Wissensträger in den Kontext des Empfängers passen, wird der Prozess erfolgreich abgestützt.

Das kleine Beispiel lässt sich gut verallgemeinern auf die grundsätzliche Vorgehensweise:

1.Ziele definieren.

2.Die für die Ziele wichtigen Prozesse identifizieren.

3.Die wissenskritischen Abschnitte der Prozesse identifizieren.

4.Die zugehörigen relevanten Wissensträger benennen.

5.Den Kontext festlegen.

Kultur und Wissensprozesse

Bei der Einführung von Wissensmanagement gibt es zwei weitere wichtige Felder, um die man sich kümmern muss: die internen Prozesse des Wissensmanagements und eine auf das Wissensmanagement ausgerichtete innere Unternehmenskultur. Beide Komponenten ? Prozesse und Kultur ? sind kritische Erfolgsfaktoren.

Erfolgreiches Wissensmanagement erfordert klar definierte interne Arbeitsabläufe. Welcher Art solche KM-Prozesse sind, hängt von den Wissensträgern ab. Im Zentrum stehen in jedem Fall die Zugangsprozesse und die Prüfprozesse. Die Unterstützung solcher Prozesse muss im gesamten KM-Umfeld, einschließlich der IT-Infrastruktur, angelegt sein.

Im besten Fall ist bereits eine Unternehmenskultur gegeben, in der Wissen als Erfolgsfaktor für alle Beteiligten wahrgenommen wird. Natürlich gibt es für das Gebiet der Wissenskultur keine Standardlösungen. Den Einfluss der Standard-Softwaresysteme sollte man zum Thema Kultur aber keinesfalls unterschätzen. Mindestforderung ist eine Unterstützung durch:

• niedrige Schwellen für den Einstieg, sowohl technisch als auch für die Benutzeroberfläche (Installationen, Setup, spezielle Browser-Ergänzungen, Schulung)

• beliebige räumliche Verteilung

• persönliche Agenten und Auswertungsassistenten

• einfache Benutzerführung und damit schnelle Ergebnisse für jeden Benutzer

• ansprechende, moderne und klare Oberfläche

Das Konzept der Wissensräume

Wissensmanagement ist aktives Managen von Wissen. Das Ineinandergreifen der vier tragenden Elemente Inhalt, Kontext, Prozesse und Kultur ist erfolgsentscheidend. Diese Dimensionen spannen den so genannten Wissensraum auf.

Technisch ist die Umsetzung anspruchsvoll, da KM-Systeme einheitlich über verschiedenste Wissensträger arbeiten, gleichwohl unterschiedlichste Sichten bieten müssen. Moderne Systeme verwenden hierzu Methoden der Data Dictionaries oder der Datenbanken höherer Ordnung (Hyper Bases). Kontexte werden mit hierarchischen Thesauri umgesetzt.

Solche Anforderungen entfernen uns deutlich von Dokumentenmanagement-Systemen (DMS). Wissensmanagement enthält zwar DMS-Komponenten, aber die Wissensteile in einem KM-System sind nicht dokumentengebunden: Sie können eines, keines oder sehr viele Dokumente referenzieren.

Das Konzept des Wissensraumes zeigt die herausfordernde Stellung der KM-Systeme: Sie verbinden Inhalt, Kontext, Kultur und Prozesse. Mit einfachen DMS-Anwendungen oder Portalen ist die Wertschöpfung folglich nicht herzustellen. Aber bei aller Herausforderung: Hier hat die IT-Abteilung die Chance, nicht nur Dienstleister zu sein, sondern als Antriebskraft (Enabler) zu fungieren.

Wissensvernetzung: die Bildung standardisierter Wissensmodule

Wir haben dargestellt, dass Wissensmanagement über den Prozess Zielsetzung ? Prozess ? Inhalte ? Wissensträger ? Wissen aufgebaut wird. Wissensmanagement ist folglich branchenspezifisch und differenziert in der Regel unterschiedliche Organisationseinheiten. So muss Wissensmanagement neben den Dimensionen Inhalt, Kontext, Kultur und Prozesse zusätzlich die Dimension der Organisationseinheiten vernetzen.

Die viel zu einfachen Wege der DMS und Portale sind damit endgültig verlassen. Die Parallele zu betriebswirtschaftlichen Standardapplikationen drängt sich auf. Das ist auch nur natürlich, da sich beide Welten daran auszurichten haben, welches Geschäft mit welchen Zielen reflektiert wird. Die Folgerungen sind weitreichend, geht es doch um nicht weniger, als beispielsweise die Sicht von Forschung und Controlling konsistent zu verknüpfen.

Die Lösung für diese Aufgaben kann nicht in komplex zu bedienenden Systemen liegen. Gerade die oben genannte Analogie zu betriebswirtschaftlichen Standardapplikationen birgt alle Warnungen, auf die wir hören sollten. Die Lösung können wir nur in Systemen finden, die heute bereits mit Strukturbeschreibungen dem ganzheitlichen Umfeld Rechnung tragen, um diese Verbindungen mit geringem Aufwand zu realisieren („Schneller sein im Besser sein“). Die Wertschöpfung liegt in Lösungen, welche die Wissensvernetzung auf klar und logisch weiterverfolgten Wegen anbieten.

Der Weg in die Zukunft ? Wissen erzeugen

Wenn man Wissen kategorisieren möchte, schaut man in der Literatur nach. Dort findet man die Gegenüberstellung von „implizitem zu explizitem“ Wissen, „internem zu externem“ Wissen oder „individuellem zu kollektivem“ Wissen und vieles andere mehr. Diese Kriterien gibt es, natürlich, sie sind auch wichtig. Doch halten wir den Schwerpunkt auf diesen Kriterien, wie er in der aktuellen Diskussion gesetzt wird, für überbewertet. Diese Bewertung verharrt in einer statischen, generischen Sicht und blockiert den Blick auf wichtigere Verbindungen.

Lassen Sie uns auf das Beispiel des Konzerts zurückkommen, denn es zeigt die elementare Unterscheidung. Dargestellt wurden:

• Prozesse ? die Problemstellung

• Inhalte ? die Information des Taxifahrers

• Kontext ? das Verstehen der Information

Während die Verbindung von Prozess zu Information zu Wissen sehr gut verarbeitet wird, bleibt unberücksichtigt, dass die Methodologie der wesentliche Teil der Wissensgewinnung ist: Wie man an das Wissen gelangt ? über den Taxifahrer oder über einen Stadtplan. Das ist die Methode der Wissensgewinnung.

Es ist offenkundig, dass im Wissensmanagement der Übergang von einem dokumentengetriebenen Ansatz zu einem inhaltlichen Konzept völlig neue Perspektiven eröffnet. Mit der Verbindung von Methoden- und Faktenwissen wird nach unserer Auffassung genau dieser Weg die Lücke bei der Vernetzung und dem Verstehen der Zusammenhänge schließen ? im Unternehmen selbst und im Zusammenspiel mit Kunden und Lieferanten.

Fallbeispiel: Kostenkontrolle durch Erfahrungswissen

Ein Architekturbüro erfreut sich an einem jährlichen Personalwachstum von 10 bis 20 Mitarbeitern. Nach 2 1/2 Jahren sinkt der Ertrag jedoch dramatisch. Als Ursache werden die zahlreichen Nachbesserungsarbeiten erkannt, die im Verhältnis zur Anzahl der Projekte weit häufiger als früher auftreten. Eine kurze Analyse zeigt, dass sie überwiegend auf immer wiederkehrende Fehler in der Projektbearbeitung zurückzuführen sind.

Ein Wissensmanagement-System für die Projektbearbeitung wird eingeführt. Jeder Projektleiter wird nach Abschluss eines Projektes nach positiven und negativen Erfahrungen befragt; die Ergebnisse werden in das System eingebracht. Analog werden auch die Nachbesserungen aufgenommen. Jeder Projektbearbeiter wird geschult, die Meilensteine des Projektes mit Prüfungen der Wissensdatenbank zu begleiten. Nach einem Jahr Laufzeit ist der Nachbesserungsanteil um mehr als die Hälfte verringert.

Der Autor

Dipl. Inf. Stefan Dietlein ist Gründungsmitglied der LARS Software GmbH und heute Leiter der Geschäftsführung. Seit 15 Jahren gestaltet er die Entwicklung von wissensbasierten Softwaresystemen. Im strategischen Geschäft leitet er seit 1997 das Projekt LARS KNOWLEDGE MISSION, ein Framework, das gemeinsam mit Arthur D. Little erarbeitet wurde und heute eines der führenden Konzepte zur Wissensvernetzung ist.

dietlein@wissensmanagement.net

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