2017/11 | Fachbeitrag | Leadership 2.0

Verkennen Führungskräfte den Wert ihrer Wissensarbeiter?

von Jörg Dirbach, Dr. Andreas Stiehler

Inhaltsübersicht:

Dass Wissensarbeiter in ihren Unternehmen den festgefahrenen Arbeitsmustern einfach nicht entrinnen können, ist seit Jahren ein Thema. Schon die Hays-Studie aus 2013 ergab, dass mehr als ein Drittel aller befragten Wissensarbeiter nach eigenen Angaben noch zu sehr in Routinetätigkeiten stecken. Ein Fakt, der sich in der aktuellen Studie nochmals bestätigte.

Diese Tatsache lässt vermuten, dass es die Führungskräfte offensichtlich bis heute nicht geschafft haben, ihre fähigsten Mitarbeiter vom Tagesgeschäft zu entlasten. Denn anstatt sich gezielt komplexen Problemstellung im Zuge neuer digitaler Herausforderungen stellen zu können, verbringen die Fachkräfte ihre meiste Zeit damit, Aufgaben zu erledigen, die zur Tagesroutine gehören und keinerlei Herausforderung für sie mehr darstellen. Sie rechnen sogar damit, dass sich an diesem Zustand auch künftig nicht viel ändern wird. Im Gegenteil: ihrer Meinung nach wird die bisherige Arbeitsbelastung noch zunehmen, und zwar über noch mehr Routinetätigkeiten beim gleichzeitigem Ansteigen der Komplexität. Da sind die Führungskräfte gefragt.

Jörg Dirbach, Competence Unit Manager und Partner, Zuehlke Technology Group AG

„Ich glaube, dass immer mehr Führungskräfte gar nicht mehr verstehen, wie ihre Mitarbeiter, als echte Wissensarbeiter, überhaupt arbeiten. Sie wissen nicht mehr, was genau sie zum Erfolg brauchen und wie man ihnen am besten helfen könnte, sich weiter zu entwickeln. In der Studie zeigt sich das vor allem daran, dass Führungskräfte und Wissensarbeiter bei den entscheidenden Fragen hierzu, gegensätzlicher Meinung sind.

Beispielsweise sind viele Manager der Meinung, dass Wissen effektiv genutzt wird und sie ihre Wissensarbeiter schon stark fördern. Diese sehen das aber ganz anders. Ein weiteres Beispiel: die Mehrheit der Führungskräfte glaubt, Wissensarbeit lasse sich mit Hilfe von künstlicher Intelligenz ungleich effizienter ausführen. Dem pflichtet aber nur ein kleiner Teil aus dem Lager der Wissensarbeiter bei. Diese Aussagen machen für mich eines deutlich: Führungskräfte verstehen nicht mehr genau, wie echte Wissensarbeit vor dem Hintergrund der Herausforderungen durch die Digitalisierung funktionieren kann. Das liegt für mich zum Teil darin begründet, dass sich Führungskräfte in punkto Wissensarbeit noch viel zu sehr auf unmittelbare Effizienzvorteile versteifen. Dabei geht es bei der Wissensarbeit doch gar nicht darum, ob irgendeine Lösung etwas schneller oder günstiger entwickelt wurde. Vielmehr kommt es beim Einsatz der Wissensarbeiter doch darauf an, ob der Markt die erfolgversprechendste Lösung erhält. Dieser Unterschied, der dann am Markt den echten Wettbewerbsvorteil ausmacht, ist meiner Ansicht nach vielen Managern noch gar nicht bewusst.

Auch das mangelnde Verständnis für Selbstmanagement ist für mich ein Zeichen, dass viele Führungskräfte den Freiheitsgrad, welchen echte Innovationsarbeit benötigt und nur durch Selbstmanagement der Wissensarbeiter erreicht werden kann, nicht wirklich verstehen. Die Herausforderung für Führungskräfte ist es, ihre eigene Arbeitsweise nicht auf die Arbeitsweise der Mitarbeiter abzubilden, sondern vielmehr zu verstehen, wie Wissensarbeiter wirklich arbeiten. Mittelfristig müssen auch Führungskräfte wieder zu Wissensarbeitern werden, sonst sind sie es, die am Ende durch künstliche Intelligenz ersetzt werden.“

Dr. Andreas Stiehler, Principal Analyst, PAC

„Ich bin ebenfalls der Meinung, dass es Aufgabe der Führungskräfte ist, ihre Fachkräfte möglichst schnell aus deren täglicher Routine zu holen. Die Fachkräfte selbst müssen in den Fokus der Digitalisierungsaktivitäten rücken – mit dem Ziel, den für Kreativität und Innovationsfähigkeit benötigten Freiraum erst einmal zu schaffen. Das Zugeständnis von mehr Selbstverantwortung oder neue Organisationsmaßnahmen, die heute häufig im Fokus der Diskussion stehen, sind sicher richtig und wichtig. Solche Maßnahmen können aber nicht effektiv wirken, wenn die Mitarbeiter in Routinetätigkeiten gefangen sind. Nicht umsonst fordert die Mehrheit der befragten Fachkräfte im Hinblick auf Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Situation an erster Stelle eine moderne IT-Infrastruktur (58 Prozent).

Kurzum: Wer als Führungskraft – wie häufig proklamiert – die Employee Experience verbessern will, der muss auch und insbesondere bei Digitalisierung der Arbeitsumgebung ansetzen. Und damit sind mitnichten bloße Investitionen in neue mobile Geräte oder die Implementierung von Social Collaboration-Plattformen gemeint. Ausgehend von den konkreten Rollen der Mitarbeiter sollte zunächst gefragt werden, wie durch Einsatz von mobilen Anwendungen, künstlicher Intelligenz oder spezifischen Cloud-Diensten Routinetätigkeiten besser unterstützt oder automatisiert werden können. Daran anschließend kann natürlich auch geprüft werden, wie der Erwerb der geforderten Kompetenzen und die Zusammenarbeit in sozialen Netzwerken effektiver gestaltet werden kann.

Klar ist auch: Die Realisierung eines ‚Digital Workspace‘ mit dem Ziel, die Employee Experience nachhaltig zu verbessern, gelingt weder als reines IT- noch als reines HR- oder Knowledge Management-Projekt. Notwendig ist ein unternehmensweites und langfristiges Transformationsprogramm, in dessen Rahmen technische und organisatorische Maßnahmen abgestimmt und fortlaufend justiert werden. Tatsächlich aber finden die Diskussionen heute zumeist noch in getrennten Räumen statt: hier die HRler, Knowledge Manager und Kommunikatoren, die über NewWork, Corporate Learning und Social Intranet diskutieren – dort die IT und Facility Manager, die sich über moderne Infrastrukturen Gedanken machen. Um also die Situation der Wissensarbeiter nachhaltig zu verbessern, sollten die Führungskräfte zunächst die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Stakeholdern, die sich heute mit dem Thema ‚Employee Experience‘ beschäftigen, suchen. Sie sollten versuchen, die Situation der Wissensarbeiter – deren Potenziale und Herausforderungen - besser zu verstehen. Darauf aufbauend lassen sich dann im Verbund geeignete Maßnahmen definieren und umsetzen.

 

 

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