2018/3 | Fachbeitrag | Weiterbildung

Digital lernen für die reale Welt

von Klaus Kissel, Uwe Reusche

Inhaltsübersicht:

Um die Effizienz ihrer Weiterbildung und Personalentwicklung zu erhöhen, denken Unternehmen schon lange darüber nach: Wie können wir das Lernen in Präsenz-Seminaren und -Trainings mit einem computergestützten Lernen verknüpfen? Besonders intensiv beschäftigen sich mit solchen „Blended-Learning“-Konzepten bereits vor 25, 30 Jahren die Unternehmen, in denen große Gruppen von Mitarbeitern weitgehend identische Tätigkeiten verrichten, weshalb sie auch nahezu dieselben Kompetenzen brauchen, und die regelmäßig vor der Herausforderung stehen, große Mitarbeitergruppen zu schulen. Als Beispiel seien die großen Finanzdienstleister und Krankenkassen genannt, die zumindest in der Vergangenheit nicht nur oft Tausende von Sachbearbeitern in ihrer Verwaltung beschäftigten, sondern auch Heerscharen von Verkäufern und Kundenbetreuern im Innen- und Außendienst zum Betreuen der Bestandskunden und Akquirieren von Neukunden.

Motiv: Zeit und Geld sparen

Sie erhofften sich von den Blended-Learning-Konzepten vor allem eine Ersparnis von (Arbeits-)Zeit und Geld, wobei das allgemeine Credo lautete: Mit computergestützten Lernprogrammen lassen sich zwar kognitive Lerninhalte vermitteln. Zum Herbeiführen von Einstellungs- und Verhaltensänderungen sowie zum Einüben des gewünschten Verhaltens ist jedoch weiterhin eine Begegnung von Mensch zu Mensch nötig – also ein persönliches Treffen zwischen dem „Lerner“ und seinem Trainer.

Eine entsprechend große Rolle spielten in den damals entwickelten Blended-Learning-Konzepten noch Präsenz-Seminare und -Trainings, obwohl viele Unternehmen versuchten, den Mangel an zwischenmenschlicher Kommunikation beim computergestützten Lernen mit Chatrooms, Tele-Tutoren und vereinzelt sogar eigenen Business-TV-Sendern auszugleichen.

Motiv: Weiterbildung stärker individualisieren

Etwa um die Jahrtausendwende, als in den Betrieben PCs bereits allgegenwärtig waren, gewann neben dem Motiv, Zeit und Geld zu sparen, in den Unternehmen ein weiteres Motiv an Bedeutung, sich mit den Themen „computer-gestütztes Lernen“ und „Blended Learning“ zu befassen. Zu diesem Zeitpunkt erkannten viele Unternehmen: Da aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung in unserer Organisation zunehmend die einfachen Tätigkeiten entfallen, werden die Aufgaben unserer Mitarbeiter stets herausfordernder und komplexer. Deshalb und aufgrund der immer stärker praktizierten Team- und Projektarbeit sind auch die Lernbedarfe insbesondere unserer höher qualifizierten Mitarbeiter sehr verschieden – nicht selten sogar so verschieden, dass sie mit top-down organisierten und zentral geplanten Entwicklungsmaßnahmen nur noch bedingt befriedigt werden können.

Also begannen die Unternehmen verstärkt darüber nachzudenken: Wie könnte eine Lernarchitektur gestaltet sein, die einerseits unserem Bedarf entspricht und andererseits eine individuelle Förderung der Mitarbeiter ermöglicht und ihnen die Chance eröffnet, bedarfsorientiert zu lernen? In Folge davon begannen die Unternehmen zu dieser Zeit, Lernprogramme für die unterschiedlichsten Lernbedarfe zu entwickeln, auf die ihre Mitarbeiter von ihren Rechnern aus sozusagen jederzeit Zugriff hatten – angefangen bei den Themen Führung und Verkauf bis hin zu Selbst- und Stressmanagement. Diese Programme dienten einerseits dazu, den Mitarbeitern die jeweils relevanten kognitiven Lerninhalte zu vermitteln, und andererseits dazu, zum Beispiel nach Präsenzseminaren und -trainings den Transfer in den Arbeitsalltag zu sichern.

Individualisierung führt zu Coaching-Boom

Parallel dazu begannen in den Unternehmen die Coachings zu boomen, da die Praxis zeigte: Insbesondere wenn es um das Überwinden gewohnter Denk- und Verhaltensmuster, also einen sogenannten Musterwechsel, geht, benötigen die meisten Menschen weiterhin eine persönliche Unterstützung; und beim Versuch ein verändertes Verhalten im Arbeitsalltag zu zeigen, treten oft so viele Unsicherheiten auf, dass eine individuelle, unterstützende Begleitung sinnvoll ist, damit bei den Mitarbeitern die gewünschte Verhaltenssicherheit entsteht.

Deshalb enthielten fortan die meisten Blended-Learning-Konzepte auch Coaching-Elemente, wobei die Coachings in der Regel Präsenz-Coachings waren. Das heißt, bei denen Coachings trafen sich der Coach und der Coachee, so werden die zu coachenden Personen genannt, persönlich, da weiterhin ein Credo lautete: Wenn es darum geht, eine Einstellungs- oder Verhaltensänderung bei den Mitarbeitern herbeizuführen und bei ihnen im Verhaltensbereich einen Musterwechsel zu bewirken, ist eine Begegnung von Mensch zu Mensch nötig.

Mobile Endgeräte sind heute Alltagsbegleiter

Seit drei, vier Jahren – beziehungsweise seit die Floskeln „Digitalisierung der Wirtschaft“ und „Digitale Transformation der Unternehmen“ sozusagen in aller Munde ist – findet jedoch auch ein Überdenken dieser Personalentwicklungskonzepte in den Unternehmen statt – aus vielerlei Gründen.

Anders als vor 10, 15 Jahren sind heute die meisten Mitarbeiter der Unternehmen (beziehungsweise zumindest das Gros der Hautzielgruppen der Personalentwicklung) bereits Digital Natives. Sie wuchsen mit dem Computer auf und sind es aus der (Hoch-)Schulzeit gewohnt, diesen als Lerninstrument zu nutzen. Zudem haben sich die mobilen Endgeräte – vom Laptop, über das Tablet bis hin zum Smartphone – zu einem Alltagsbegleiter beruflich und privat entwickelt. Und die jungen Mitarbeiter der Unternehmen von heute sind es nicht nur gewohnt, sich mit diesen Medien zu informieren und mit ihnen zu kommunizieren, sondern auch ihre (Zusammen-)Arbeit zu planen. Außerdem nutzen sie im Privatbereich ganz selbstverständlich Apps zum Sprachlernen; außerdem lassen sie sich durch diese auch bei solchen Tätigkeiten wie dem Sporttreiben und für solche Ziele wie Abnehmen coachen.

Digital Natives wollen mit moderner Technik lernen

Deshalb wirkt es für sie heute oft geradezu anachronistisch, wenn sie im Bereich der betrieblichen Weiterbildung und Personalentwicklung auf diese Hilfsmittel verzichten sollen. „Bei unserer Projektarbeit nutzen wir sie doch auch.“

Dies gilt insbesondere dann, wenn sie, wie viele junge Leistungsträger in den Betrieben herausfordernde Jobs haben und in betriebliche (oft standort- und zuweilen sogar länderübergreifende) Netzwerke eingebunden sind. Denn dann fällt es ihnen meist schwer, heute zu sagen:

  • „In drei, vier Wochen habe ich Zeit für ein mehrstündiges Coaching“ oder
  • „In zwei, drei Monaten habe ich Zeit für die Teilnahme an einem Seminar, das 200 Kilometer entfernt von meinem Wohn- bzw. Arbeitsort stattfindet.“

Und wird diesen Mitarbeitern von außen, also zum Beispiel vom Personalbereich, die Teilnahme an einem ein-, zwei-tägigen Seminar aufoktroyiert, dann sehen sie darin häufig nicht eine Chance, sich zu entwickeln, sondern eine lästige Zusatz-Aufgabe. Entsprechend gering ist ihre Lernmotivation, was sich auch an ihrem Verhalten zeigt. In den Kaffeepausen hängen sie sofort in einer Ecke an ihrem Handy, um mit Kollegen dringliche Dinge zu besprechen; und in den längeren Pausen verschwinden sie auf ihren Zimmern, um an ihren Laptops wichtige Aufgaben zu erledigen. Entsprechend wenig nachhaltig wirken bei ihnen die in den Seminaren und Trainings besprochenen Inhalte. Kurz nach Verlassen des Seminarhotels sind sie nicht selten wieder vergessen, denn auf dem Weg nach Hause parlieren sie im Auto via Handy zum Beispiel schon wieder mit Kollegen darüber, wo es in ihrem Projekt brennt.

Ziel: Die Weiterbildung bedürfnisgerecht gestalten

Vor diesem Hintergrund denken seit einigen Jahren Unternehmen verstärkt darüber nach, wie sie die betriebliche Weiterbildung mit der modernen Informations- und Kommunikationstechnik nicht nur effizienter und effektiver, sondern auch den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter gerechter gestalten können.

Dabei ist es weitgehend Konsens: Auch künftig wird, wenn das Lern- oder Entwicklungsziel eine Einstellungsänderung voraussetzt, eine persönliche Beziehung, also auch ein persönliches Kennenlernen zwischen dem „Lerner“ und der Person, die ihn in seiner Entwicklung begleitet (also dem Trainer, Mentor oder Coach), unerlässlich sein, damit

  • das erforderliche Vertrauen entsteht und
  • die Beteiligten ihr jeweiliges Gegenüber auch als Person einschätzen können.

In manchen Fällen kann dieses Sich-kennenlernen jedoch auch via Video- oder Skype-Konferenzen erfolgen.

Bei allen hierauf aufbauenden Prozessen stellt sich jedoch die Frage: Inwieweit können hierfür nicht auch elektronische Medien als Hilfsmittel genutzt werden? So können und werden die Unternehmen künftig zum Vermitteln von Lerninhalten gewiss verstärkt auf Webinare statt Präsenz-Seminare setzen – nicht nur weil hierdurch Reisezeiten und -kosten entfallen, sondern auch weil sich mit ihnen leichter solche Designs wie „vier Module á 2 Stunden“ statt einmal einen ganzen Tag realisieren lassen. Und beim Coachen ihrer Mitarbeiter werden sie verstärkt auf solche „Kanäle“ wie das Telefon-und Video-Coaching sowie das Coachen mittels Skype und WhatsApp setzen – auch weil diese sich kurzfristiger planen lassen.

Micro-Learnings ersetzen „en bloc-“Lernen

Und beim Trainieren der Verhaltenssicherheit, die die Mitarbeiter im Arbeitsalltag brauchen? Hier werden die Unternehmen verstärkt auf solche Apps setzen, wie sie ihre Mitarbeiter im Privatbereich heute schon nutzen, denn die Erfahrung zeigt: Sie sind geeignete Tools, um mit sogenannten „Micro-Learnings“ wie Transferfragen und -aufgaben sowie (Kurz-)Videos und Audios das Gelernte einzuüben und zu vertiefen.

Mit den vielen Möglichkeiten, die die moderne Informations- und Kommunikationstechnik bietet, lassen sich heute bereits ganz neue Lern- beziehungsweise Blended Learning-Konzepte schmieden – Konzepte, die viel stärker als die tradierten nicht nur dem Bedarf der Unternehmen, sondern auch den Bedürfnissen der Teilnehmer entsprechen. Das wirkt sich auch positiv auf deren Lernmotivation aus.

Augmented Reality ermöglicht auch Verhaltenstraining

Und die Möglichkeiten werden in den nächsten Jahren weiter steigen, wenn die „Virtuelle Realität“ beziehungsweise „Augmented Reality“ (zu Deutsch: erweiterte Realität) in die computer- und netzgestützten Lernprogramme Einzug hält. Je stärker dies der Fall ist, umso häufiger wird es auch möglich sein, virtuelle Lernlandschaften zu kreieren, in denen die Teilnehmer nicht nur – wie heute bereits üblich – das Handling von Maschinen, sondern auch den adäquaten Umgang mit Menschen, seien dies Kunden oder Mitarbeiter, trainieren.

Diese Zukunft ist heute bereits teilweise Gegenwart – wie ein Blick in die „Gaming-World“, also ein Blick in der Welt der elektronischen Unterhaltungsspiele zeigt. Also sollten sich zumindest die Profis in Sachen Weiterbildung und Personalentwicklung mit ihr befassen – denn die digitale Transformation der Unternehmen macht auch vor betrieblichen Weiterbildung und Personalentwicklung nicht halt.

 

 

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